Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
starrst jetzt schon seit fünf Minuten diesen Duftstecker an.«
Scheiße.
»Oh, oh ja. Mir geht’s gut. Entschuldige, ich war nur in Gedanken, das ist alles.«
»Geht es um deine Mutter? Willst du drüber reden?«
Sicher, denke ich, und sehe in Hollys offene Züge, warum nicht? Sie ist nicht dumm, nur sehr vertrauensselig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie angetan wäre von meinen Hintergedanken.
»Holly«, setze ich an und räuspere mich. »Gefällt es dir hier? Ich meine, wenn du die Wahl hättest zwischen hierbleiben und woandershin gehen, was würdest du machen?«
Sie wechselt aus dem Schneidersitz auf die Seite und ruht nun auf ihren seitlich angewinkelten Beinen. Die kleine Schneekugel in ihrer Hand beginnt auf und ab zu wandern, von Handfläche zu Handfläche, dann steckt sie ein kleines Stück die Zunge heraus und wägt meine Frage ab. Immerhin, denke ich, hat auch sie nicht augenblicklich eine Antwort parat. Vielleicht ist mein Zögern gar nicht so falsch, alles in allem.
»Das hängt wohl davon ab«, sagt sie schließlich achselzuckend.
»Wovon?«
»Wo es hingehen sollte.«
»Ja, das ist ein wichtiger Punkt.«
»Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht, ich bin wohl nur neugierig. Ich meine, hier ist es gar nicht so schlecht, oder? Ich glaube, wir haben uns hier eine kleine Nische errichtet, meinst du nicht?«
Sie sieht weg, während ich die Frage stelle, schließt ihre Hände um die Schneekugel und presst sie zusammen, bis es aussieht, als müsste sie gleich unter ihren Händen zerspringen.
»Holly?«
»Es ist gut hier … Ich … ich mag es.«
Damit wendet sie sich wieder den Schachteln zu, Gespräch beendet. Ich sehe ihr zu, wie sie auf die Beine kommt und sich nach einer großen, schweren, ungeöffneten Kiste reckt. Sie packt sie an den Deckelklappen, doch sie ist zu schwer, entgleitet ihr und kippt. Eine Kaskade klingelnder Weihnachtsdekorationen ergießt sich über ihre Füße, rot und grün und gold. Es riecht nach Staub und Kiefer. Eine der grünen Kugeln ist zerbrochen, an einem Ende aufgeplatzt wie ein Ei.
Ohne Zögern mache ich mich ans Aufräumen, aber plötzlich bricht Holly in Tränen aus. Sie bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen und schluchzt heftig. Ihr ganzer Körper vibriert vor Anstrengung, als sie versucht, aufzuhören und sich zu beruhigen. Ich lege ihr sanft eine Hand aufs Knie und frage mich, ob meine Frage zu viel für sie war, ob ich zu weit gegangen bin.
»Hey, ist schon gut. Es ist nur eine kaputtgegangen, wir räumen das einfach weg, ist doch nichts passiert.«
»Das … Da–das ist es nicht!«, stammelt sie, presst die Worte zwischen Schluchzern heraus.
»Himmel, hey, beruhige dich. Was ist denn los?«
Ich fege das zerbrochene Glas beiseite, rücke näher an sie heran und hoffe, sie braucht nur etwas menschliche Nähe und eine Schulter, um sich auszuweinen. Holly hält ganz still und versteckt ihr Gesicht eine Weile, dann wischen ihre Finger langsam über ihre Wangen, trocknen die Tränen.
»Es ist wegen Ted«, sagt sie und stockt über seinem Namen. Mein erster Gedanke ist, dass er mit ihr Schluss gemacht hat, und mein zweiter, dass ich ihm dann den Schädel einschlagen muss. »Er – er hat mir einen Antrag gemacht. Er hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will.«
»Das ist doch toll!«, rufe ich, vielleicht ein bisschen zu enthusiastisch. Holly starrt mich verwirrt an.
»Findest du?«
»Ich denke schon, ja – oder etwa nicht? Ich dachte, ihr zwei wärt … du weißt schon, langfristig verbandelt.«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich liebe ihn, das tu ich wirklich, aber ich mag es einfach nicht … Ich hab einfach das Gefühl, dass er das nur wegen alledem hier tut, weißt du, wegen allem, was passiert ist«, sagt sie. Die Tränen sind nun versiegt und trocknen langsam auf der Rundung ihrer Wangenknochen. Sie schnieft und wischt sich die Nase mit ihrem bleichen Handrücken. »Also hab ich ihn gefragt, ob er das auch tun würde, wenn wir nicht hier zusammen eingesperrt wären? Und er sagte nein!«
Ich weiß, dass Ted kein Frauenheld ist, aber das war unverzeihlich. »Also, ich nehme an, er meint, dass die Umstände nun mal so sind, wie sie sind, nicht? Alles ist unsicher. Ganz bestimmt hätte er dich irgendwann gefragt, also was ist so schlimm daran, dass er es jetzt tut?«
»Ich weiß nicht – verstehst du? Ich weiß es einfach nicht! Ich sollte glücklich sein, ein Teil von mir ist es ja auch. Ich dachte schon, er würde nie den Mut
Weitere Kostenlose Bücher