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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Möglichkeiten. Er stößt seine Brille die Nase hoch und wirft sein Haar herum wie ein ungeduldiger Hengst.
    »Ich will nicht streiten«, sagt er.
    »Doch, das willst du, und das ist auch in Ordnung. Fang einfach an, bevor ich zu hungrig werde.«
    »Schön«, schnaubt er. »Warum hast du mir nichts erzählt? Ich weiß, dass du dir beschissene Sorgen um deine Mutter machst, aber ich dachte, wir hätten ein Einvernehmen, weißt du? Wir bequatschen Sachen erst unter uns, und dann tragen wir es der Gruppe vor. Was ist daraus geworden?«
    Irgendwie habe ich gewusst, dass das kommt, aber das Wissen macht es nicht weniger unangenehm.
    »Das ist doch keine Entscheidung, die ich allein treffen könnte, oder wir beide, verstehst du? Das ist eine Gruppenentscheidung, jeder ist davon gleichermaßen betroffen.«
    »Jeder?«, fragt er.
    Er hat seine Stimme gesenkt, um seriöser zu klingen. Wenn er sich sehr aufregt, wird sein Akzent deutlich stärker und seine Schultern wandern in die Höhe, als ob er sich auf einen Boxkampf vorbereite. Ich glaube nicht, dass es zu Schlägen kommt, aber er sieht tatsächlich aus wie ein erbostes Warzenschwein, das im Dreck stampft, keucht, sich anspannt – ein weiß glühender kleiner Energieball vor dem goldgerahmten Druck eines Heile-Welt-Gemäldes von Thomas Kinkade.
    »Richtig. Jeder. Jeder bedeutet im Klartext du und Zack, richtig?«
    Das habe ich nicht direkt kommen sehen, aber geahnt, dass es passieren könnte. Ich verschränke die Arme und strecke die Brust raus, um seine lächerliche Dominanzpose zu kontern. Im Stillen hämmere ich mir ein, dass hier kein Drama vorliegt. Ich versuche, mich selbst davon zu überzeugen, dass es hier schlicht um die Dynamik von Machtverhältnissen geht und nicht um Ted, diesen eifersüchtigen, weinerlichen kleinen Sack.
    »Weiß Zack davon?«, fragt er jetzt ganz direkt.
    »Vermutlich ja. Aber zu meiner Verteidigung: Er hat es mir Stück für Stück aus der Nase gezogen.«
    »Ach, so nennt man das heute.«
    »Pass auf, Arschloch«, grolle ich und mache einen drohenden Schritt auf ihn zu. »Ich schlag dich noch mal, wenn ich muss. Führe mich nicht in Versuchung.«
    Ich spüre, wie die Spannung steigt, der bevorstehende Zusammenprall der Titanen, heiß, wütend, voll siedender Leidenschaft, die sich danach verzehrt, auszubrechen, durch meine Kehle und durch Kontakt meiner Handfläche mit seinem Gesicht. Ich weiß immer noch nicht, woher dieser Jähzorn kommt. Soll ich raten? Teds Scheiß-Gehabe und dazu der Umstand, dass meine Mutter, die wunderbarste Frau der Welt, verschollen und vielleicht, nur vielleicht, längst tot ist.
    »Scheiß drauf«, sage ich und lasse die Luft raus. »Das ist Zeitverschwendung.«
    »Yeah.«
    »Meinst du nicht, wir sollten fortgehen? Ich meine, wenn meine Mom herkommt. Denkst du, dass wir gehen sollten?«
    Ted braucht einen Moment, um zu antworten. In der Zwischenzeit setzen wir uns beide auf die große Couch, die so üppig mit handgewebten Afghanenteppichen bedeckt ist, dass sie unter all den Handarbeiten kaum noch zu sehen ist. Alles hier riecht nach Zimt, vermischt mit Schweiß und Scheiße, dem Geruch, den wir überall mit hinzutragen scheinen. Wir werden ihn nicht los. Egal, wie gründlich wir das Klo reinigen, scheinen wir immer ein wenig zu stinken.
    Ted stützt seinen rechten Knöchel auf sein Knie und schiebt seine Hände tief in seine Taschen. Ich bin kurz in Versuchung, die Ruhe nach dem Sturm zu nutzen und ein kleines vertrauliches Gespräch über Holly vom Zaun zu brechen, aber ich halte dicht. Ich glaube, mir gefällt Hollys neue Loyalität, die Art, wie sie mich verschwörerisch angrinst, als wären wir einst siamesische Zwillinge gewesen. Ich kann ihre Gedanken nicht lesen, aber ich habe eine gut begründete Ahnung.
    »Meine Nerven sagen ja«, antwortet Ted zu guter Letzt. »Aber das ist eine gewaltige Veränderung… Wer weiß, ob es so viel besser sein wird? Aber … Leuten zu begegnen, neuen Leuten, zur Hölle, jeder Menge Leute …«
    »Ich weiß. Genau das ist auch mein Gefühl.«
    »Es könnte ein Irrenhaus sein«, sagt Ted und grinst verschlagen. Sein Fuß zuckt rhythmisch. »Und total unhygienisch, bei all den Leuten auf einem Haufen.«
    »Ich glaube, wir sollten bleiben«, sage ich. Die Spannung ist verpufft und hat die gleiche problemlose Freundschaft hinterlassen, die wir vorher hatten. Es scheint, als hätte es das Radio, Zack und unsere Meinungsverschiedenheiten nie

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