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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Unterstützung, Leute. Ich bin sicher, wo immer sie jetzt ist, meine Mom weiß das zu schätzen!

3. O KTOBER 2009 – P ARADISE L OST
    »Wer zur Hölle braucht so viel Christbaumschmuck? Hat sie für jeden der zwölf Weihnachtstage einen eigenen Baum? Das ist doch ein Zeichen mentaler Instabilität, oder? Ich meine, das ist schon jenseits von zwanghaft«, sage ich und halte eine der Fantastillarden von gläsernen Christbaumkugeln hoch. »Und jenseits von kitschig.«
    »Sie sind scheußlich«, bestätigt Holly und schüttelt sich.
    »Meinst du, wir könnten sie irgendwie umbauen? Vielleicht Bomben draus basteln? Stell dir bloß vor, wie sie aus dem Fenster regnen und ganze Legionen dieser Viecher auslöschen!«
    »Das ist einen Versuch wert«, sagt sie.
    Heute arbeiten wir weiter an der Aufgabe, Ms Weathers’ Habe durchzugehen und alles sinnvoll zu verstauen. Sie hat wirklich eine Menge Zeug. Es füllt ihre zahllosen Schränke und noch die Hälfte des Flurs. Der meiste Kram, den sie aufbewahrt und weggebunkert hat, fällt in die Kategorie sentimentaler Müll. Nichts ist beschriftet, also hilft Holly mir, die Kartons zu sichten und auszusortieren, welche brauchbaren Inhalt haben und für spätere Verwendung in Frage kommen.
    Es ist schwer, bei der Sache zu bleiben. Ich habe noch nichts von meiner Mom gehört und nun einen Stapel alter Tuschbilder in der Hand, fraglos von Ms Weathers’ Enkeln, und muss mich fürchterlich konzentrieren, um mich zu erinnern, aus welcher Kiste sie stammen. Ich habe noch niemandem von dem Radio erzählt. Ich weiß, das klingt selbstsüchtig, aber es gibt einen guten Grund für diese Unterlassung.
    Holly gurrt wie eine Taube über einem Fund. Es handelt sich um ein altes Farbfoto, verblichen und orange und voller Wasserflecken. Der Rahmen ist noch gut erhalten. Das Foto zeigt Ms Weathers und wahrscheinlich ihren Ehemann oder einen alten Freund. Er trägt eine Seemannsuniform, komplett mit allen Klischees, und sie sehen beide fröhlich und unbeschwert aus. Ich nehme es Holly weg, bevor sie sich zu sehr darin verguckt.
    »Ich weiß, es ist schwer, all das Zeug zu entsorgen«, sage ich ihr und begrabe das Foto am Boden eines Kartons. »Es fühlt sich nicht richtig an, fast als würden wir sie berauben. Ich hoffe, sie würde es verstehen … Wir sind alle noch jung, wir haben es nicht verdient, so um unser Überleben kämpfen zu müssen.«
    »Schon klar«, sagt Holly leise. Ihr kurzes rotes Haar steht in jede Richtung zu Berge. Sie sieht wirklich ganz rührend aus.
    »Hier«, sage ich und schiebe ihr eine weitere Kiste hin. »Versuch’s mal mit der hier. Hoffentlich sind es nicht wieder nur abgelaufene Rabattmarken.«
    Ich kann nicht sagen, ob Holly merkt, dass ich abgelenkt bin, oder ob sie selber von etwas abgelenkt ist. Sie weiß natürlich, dass ich mir Sorgen um meine Mutter mache, aber sie hat bisher noch keine Ahnung von dem Radio. In meinem Magen nagt eine fiese, schmerzhafte Spannung. Ich öffne einen weiteren Karton: Kerzen und Raumduftspender, nicht schlecht. Ich habe immer noch vor, den Wartungsraum unten zu durchsuchen, und ein solider Vorrat an Kerzen wird mich daran erinnern. Vielleicht könnte ich tatsächlich mal etwas Nützliches tun, wenn nur die Stimme in meinem Kopf verstummen und verschwinden würde.
    Sie müssen irgendwohin, müssen sich irgendeine Zuflucht suchen …
    Ich sollte es ihr einfach sagen. Ich sollte es allen sagen. Doch etwas hält mich zurück, eine Frage. Es ist dieses Wort ›suchen‹. Was, wenn ich nicht suchen will? Wenn ich die Schnauze voll habe vom Suchen? Selbst wenn wir es bis zur Universität schaffen, was dann? Bleiben wir für immer da, oder gibt es von dort aus andere Ziele, und wieder andere, und noch andere? Wir haben hier einen guten Ort gefunden. Er ist nicht perfekt und auch nicht luxuriös, aber er scheint beständig haltbar. Phil, Janette und Matt sind schon in die früheren Alltagsmuster zurückgefallen – sie ignorieren uns, und wir ignorieren sie. Vielleicht sollte dieses Symptom genug sein, mich zu überzeugen, dass wir zu einem Stück scheinbarer Normalität gefunden haben – warum sollten wir das riskieren? Selbst wenn es nur um eine Entfernung von zehn Blocks geht, warum sollten wir uns wieder entwurzeln, um in einer überfüllten Sporthalle mit einer neuen Front von Fremden klarzukommen? Aber wenn ich es ihnen nicht erzähle, fühlt sich das wie lügen an, wie Verrat.
    »Allison?«
    »Hm? Ja?«
    »Geht’s dir gut? Du

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