Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
sich zu verteidigen versucht haben. Wir überqueren den dünnen, kahlen Streifen Boden, der die Gemahlinnen von den anderen trennt. Eine Menge Leute ignorieren die Gemahlinnen oder lehnen sie ganz offen ab. Sie spüren, was ja auch stimmt, dass die Gemahlinnen stolz auf ihr Dasein sind, wahrscheinlich ein bisschen wahnsinnig, durch die schrecklichen Verluste, die sie ertragen mussten, und in der Folge jetzt der extremsten Form der Mildtätigkeit verfallen. Ich habe gehört, wie Kinder ermahnt wurden, sich von ihrer Seite des Lagers fernzuhalten. Manche haben ihre Zelte mit Bedacht so weit weg wie möglich von denen der Gemahlinnen aufgestellt.
Das alles kommt mir vor wie in der West Side Story , nur ohne die ganze Tanzerei.
Die Zelte der Gemahlinnen stehen alle in einem Ring, die Eingänge auf den Mittelpunkt gerichtet. Dort haben sie kein großes Lagerfeuer aufgeschichtet, sondern ein Kreuz aus Dachlatten und Klebeband errichtet. Alles wirkt wie eine Wagenburg, die von einem großen, verheißungsvollen Kreuz bewacht wird. Hohl und leer kommen sie eine nach der anderen aus den Zelten, als hätte sie ein lautloser Gong zusammengerufen.
Heute jedoch wirken die Gemahlinnen geschäftig und aufgeregt. Eine neue Familie ist angekommen, die Stocktons. Sie sind nicht von der Schwarzen Erde, aber das macht nichts. Jede Familie ist hochwillkommen und wird eingeladen, bei den Frauen zu leben. Normalerweise blitzen die Gemahlinnen ab, aber die Stocktons scheinen nicht abgeneigt, so lauten die Gerüchte. Ich kann mich nicht erinnern, ihnen bislang begegnet zu sein.
»Sie sind im Lazarettzelt«, murmelt Collin, »der Vater hat ein paar leichte Verletzungen, vielleicht einen verstauchten Knöchel. Ich stelle Sie später vor.«
Aber zuerst muss ich die Gemahlinnen kennenlernen – eine einschüchternde Erfahrung, ein bisschen wie mit dem Fallschirm mitten in Stepford landen und von allen Seiten mit Fragen und Schulterklopfen bombardiert werden. Collin (der hier in erster Linie Mr Crane ist) erzählt ihnen, natürlich, von meiner aufopfernden Großtat, der Bezwingung des bösen Zack. Von allen Villagebewohnern sind sie am meisten beeindruckt, am dankbarsten und ehrfürchtigsten. Sie starren mich an, als wäre ich gekommen, um ihnen das Blut Christi zu bringen, die Münder zu großen, bewundernden Os geformt. Ihre Reaktion auf mich macht mir am meisten Angst.
»Gott segne Sie, Gott segne Sie für die Vernichtung dieser … Ratte.«
»Gott wird mit Ihnen sein. Er muss es. Er muss es.«
Und so geht es in einem fort. Ich versuche mich in Demut, versuche auszusehen wie die gemarterte Heldin, die sie erwarten. Aber es fühlt sich nicht echt an. Collin bemerkt mein Unbehagen und bugsiert mich von der Gruppe weg, führt mich zu einer Gemahlin, die abseits sitzt. Die Hände sittsam im Schoß gefaltet, thront sie auf einer leeren Plastikkiste. Sie trägt ein gemustertes Baumwollkleid und einen weiten blauen Sweater mit gestickten Gänseblümchen am Kragen. Ihre rote Dauerwelle ist stumpf und fettig. Als sie zu uns aufblickt, sehe ich einen breiten Streifen Blut auf der Brust ihres Sweaters.
»Marianne? Das ist Allison.«
Weder streckt sie die Hand aus noch zeigt sie, dass sie mich wahrnimmt. Ihre Augen blicken direkt durch meinen Körper hindurch, durch meine Adern und Knochen, und ich kann die stählerne Kälte fühlen. Zunächst denke ich, das war’s, jetzt führt Collin mich wieder von diesem Phantom weg, diesem Geist, doch plötzlich erwachen ihre Augen zum Leben, und ihre aufgesprungenen Lippen öffnen sich.
»Mein Sohn«, sagt sie wimmernd und schwer atmend, als hätte sie gerade begriffen, dass er verloren ist. »Mein Sohn … Mein Sohn hat mein kleines Mädchen gegessen. Mein Sohn hat mein kleines Mädchen gegessen!«
Sie wiederholt es wieder und wieder, die Stimme schwillt, bis sie mich aus voller Lunge anschreit.
» MEIN SOHN HAT MEIN KLEINES MÄDCHEN GEGESSEN !«
Endlich zieht Collin mich fort. Er wirft noch einen auffordernden Blick auf die anderen Gemahlinnen, die sich beeilen, zu Marianne zu hasten und sich um sie zu kümmern. Sie umfangen sie mit einem Knäuel aus Armen, wiegen sie und glucken sanft dazu wie eine Herde riesiger Hennen, die Köpfe geneigt, um mit der Stirn ihr Gesicht zu berühren. Marianne verschwindet zwischen ihnen, zum Schweigen gebracht, selbstverloren in dem Meer plötzlicher und überwältigender Fürsorge.
»Heilige Scheiße«, murmele ich, schüttle den Kopf und versuche das
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