Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
schmerzhafte Klingeln in meinen Ohren loszuwerden. Collin nickt.
»Marianne ist … Na ja, ich denke, sie ist verloren. Es gibt noch ein paar Leute wie sie hier, aber sie ist am schlimmsten dran. Ich habe Susan über sie ausgefragt. Sie erzählte mir, dass Mariannes Haus das erste war und sie zusehen musste, wie ihr Sohn … na ja … Sie haben es ja gehört.«
Das habe ich. Es ist schwer, diesen Klang aus meinem Kopf zu vertreiben, und wenn ich blinzele, erscheinen diese von Entsetzen gezeichneten Augen. Sie sehen aus wie Hollys – leer, untergegangen.
Collin führt mich weg von dem Areal und einen langen, schmalen Gang hinunter. Wir treten hinaus in einen feinen Oktobernebel. Es ist frisch hier draußen, doch zum Glück gibt es jetzt auch jede Menge zusätzlicher Kleidung. Die Gemahlinnen waren fleißig beim Nähen von Decken und der Umarbeitung von Universitätsuniformen in dicke Patchworkpullis. Die sind nicht sonderlich warm, schützen aber vor dem Wind. Sobald wir draußen sind, vernehme ich Gewehrfeuer. Ich gewöhne mich allmählich daran, jedes Mal Schüsse zu hören, wenn ich mich unter freiem Himmel befinde.
Die fahle Sonne hinter den Wolken und ihr neckender Hauch von Wärme lassen etwas Nebel am Horizont aufsteigen. Was hinter der nahen Abgrenzung der Sportarena liegt, erscheint grau. Man kann gerade noch die Andeutung von Tennisplätzen und einem Weg erkennen, ein paar Meter davor einen geparkten Lastwagen und einen Mann, der dahinter Wache steht. In der Luft schwebt Asche und der fremde, salzige Geruch von Wärme, die vom Boden aufsteigt. Letzte Nacht hat es geregnet, aber nun ist die Erde fast wieder trocken.
Glücklicherweise handelt es sich bei dem Geknalle um Übungsschießen. Collin und sein rotschopfiger Neffe Finn haben einen Schießstand aufgebaut und beschlossen, Ted und mich in Soldaten zu verwandeln. Doch Ted ist noch im Lazarettzelt. Er scheint weit mehr daran interessiert, wie man Wunden näht und Knochen richtet, als mit mir Zielübungen zu machen.
»Wo kommen die alle her?«, frage ich und deute auf eines der Gewehre, das Collin gerade auf einen weit entfernten Stapel Holzkisten richtet. Er wirkt ganz anders mit einem feuerbereiten Gewehr im Anschlag – zurückgezogen, ernüchtert. Sein Gesicht wirkt immer noch freundlich gefurcht, seine Augen leuchten, doch was von seinem Inneren ausgeht, lässt mich schaudern. Die vielen Waffen werfen Fragen auf, die man besser nicht stellt. Es ist egal, wo die Waffen herkommen. Hauptsache, es gibt hier Leute, die wissen, wie man damit umgeht.
»Die Polizei … Sie ist nicht ausgebildet für Situationen wie diese. Vielleicht in New York oder Chicago, wo sie Erfahrungen mit Aufständischen hat, Bandenkriminalität … Aber hierauf war sie nicht vorbereitet. Es macht einen Unterschied, ob man unter Druck kühles Blut bewahrt oder sich intelligent verhält«, erklärt Collin.
Er muss gegen das Knallen von Schüssen immun sein, denn er zwinkert kaum, als er den Abzug durchzieht und eine Garbe krachend den Lauf verlässt. Ich hingegen bin nicht gewöhnt an dieses Geräusch und empfinde es jedes Mal als ohrenbetäubend und beängstigend.
»Sie wollten die Bürger in dieses Stadion bringen, um eine sichere Basis zu haben und einen zentralen Anlaufpunkt für Überlebende zu schaffen. Das war ein guter Schritt, eine gute Idee. Aber dann haben sie die verdammte Barrikade gleich da vorn errichtet, genau auf der Hauptverkehrsader. Ich bin sicher, sie dachten, eine Wand würde die Untoten aufhalten. Auf eine Art hatten sie damit recht, aber sie hielt auch die Überlebenden auf. Ich weiß nicht, ob Sie es sich vorstellen können, aber wenn sich Zivilisten in Panik zwischen einer Wand auf der einen und den Untoten auf der anderen Seite befinden … Hinzu kam das Problem, dass es dreimal so viele Untote waren wie vorher. Die Barrikade brach zusammen, und die Basis war zum Teufel.«
»Die Polizei ist also abgehauen? Sie haben diese Leute einfach zum Sterben hiergelassen?«
»Nein«, sagt er und senkt das Gewehr, »sie sind auch gestorben.«
»Also, die kugelsicheren Westen, der Geländewagen und die Gewehre … das gehörte alles den Cops?«, frage ich.
Collin nickt, lädt langsam das Gewehr nach, so, dass ich zusehen kann, und reicht es mir. Er scheint zu seinem früheren Selbst zurückgekehrt zu sein, dem Mann mit dem wissenden Lehrerlächeln und dem forschenden Blick. Das Gewehr ist warm von seinem Griff.
»Finn hat bei der Royal Air Force gedient, so
Weitere Kostenlose Bücher