Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
wie ich. Es war eine Familientradition. Ich habe meine Uniformen aufgehoben, keine Ahnung wofür, Sentimentalität, als Erinnerungsstücke an meine Zeit als junger Mann. Die Uniformen sind nur für den Seelenfrieden, zur Schau«, sagt er. »Wenn man einen Haufen verängstigter Leute hat, der verzweifelt um Hilfe ruft, trägt nichts besser zur Errichtung einer Ordnung bei wie Uniformen und Sturmgewehre. Wenn man erst das Kommando hat, kann man Expeditionen zu den Ecken mit Marktplätzen organisieren, zu den Bücherhallen, den Apotheken und Krankenhäusern, und wenn erst mal Versorgung bereitsteht, hat man glückliche Leute.«
»Sie haben das alles alleine gemacht?«
»Finn hat geholfen.«
»Richtig … aber Sie haben es alleine gemacht?«
»Natürlich«, sagt er und tippt mir auf den Ellenbogen. Er ist ungeduldig. Er glaubt, ich würde einen guten Soldaten abgeben, wenn es mir gelänge zu schießen, ohne mich jedes Mal zu verkrampfen, bevor ich den Abzug betätige. Ich kann nichts dagegen machen. Ich weiß, der Knall kommt, die Explosion. »In solchen Situationen denkt man nicht, Allison, man handelt. Ich glaube, Sie wissen das schon.«
»Aber Sie sind so … so ruhig. Wie machen Sie das? Wie schaffen Sie es, nicht vollständig durchzudrehen?«
»Festhalten«, sagt er, und drückt mir fest die Arme hoch, bis der Lauf auf den Platz vor uns gerichtet ist. »Haben Sie jemanden verloren? Mehr als einen Menschen?«
»Meine Mutter«, stammele ich, kalt erwischt. »Ich weiß es nicht … ich weiß nicht, wo sie ist. Wir waren verabredet, uns zu treffen, aber sie ist nicht aufgetaucht.«
»Verstehe. Ich habe meine Frau verloren. Ich weiß auch nicht, wo sie ist, aber ich ahne es. Ich bin nicht unbesiegbar, Allison. Ich tue nur mein Bestes. Und wirklich, mehr verlange ich nicht von Ihnen.«
Die Zielübungen verlaufen schlecht. Ich kann mich nicht konzentrieren und denke ständig an meine Mom. Ich hätte Collin nichts von ihr erzählen, sondern einfach den Mund halten sollen.
Ted kommt erst sehr spät zurück. Er hat sich um die Stocktons gekümmert. Er mag sie wirklich, besonders ihre beiden kleinen Söhne. Dapper war meine einzige Gesellschaft, während ich auf Ted gewartet habe. Und selbst der Hund interessiert sich nicht für meine trübe Stimmung. Als Ted endlich da ist, schläft er sofort ein, erschöpft von der harten Arbeit des Tages. Ich möchte, dass er wach bleibt. Ich will erzählen und Witze machen, ihm berichten, dass ich am Gewehr völlig unbrauchbar bin, und ihn lachen hören, wenn ich ihm erkläre, dass Collin mich für eine hysterische Tussi hält. Teds unbezähmbares Haar hat inzwischen so ziemlich sein gesamtes Gesicht kolonisiert, einschließlich der Brillengläser, und er ist gezwungen, es ständig aus dem Gesicht zu wischen, damit er überhaupt sieht, wo er hintritt. Als er sich in seinen Schlafsack fallen lässt, breitet sich sein Haar um seinen Kopf aus wie eine Hand voll Dolche.
Collin hat mich zu einem Drink eingeladen. Finn soll dabei sein, denn Collin möchte, dass sein Neffe sich entschuldigt. Ich bin sicher, er will, dass wir alle gut klarkommen. Diese Phrase benutzt er gern, »klarkommen«. Ich habe ihm höflich abgesagt und Müdigkeit vorgeschoben.
Jetzt wünsche ich mir, ich hätte die Einladung angenommen, weil ich hier sitze und lese, was ihr alle geschrieben habt. Ihr seid am Leben. Ein paar von euch tun mehr, als sich nur um ihr eigenes Überleben zu kümmern, und ich kann mir ihre Verachtung für jemanden wie mich gut vorstellen. Jemand, der nichts tun kann, außer rumzusitzen, sich selbst zu bemitleiden und seinen schlafenden Raumgenossen anzustarren. Ich sollte nicht so allein sein, sondern mit Collin und seinem Neffen Whiskey trinken. Ich sollte mir erlauben zu leben.
Doch jedes Mal, wenn ich über Collin nachdenke, seine Stimme und wie ich im Radio von ihr gefesselt war aus Sehnsucht nach Führung und Frieden, kommt mir automatisch Zack in den Sinn. Nach diesem katastrophalen Missgriff, wie kann ich da meinem Urteil noch trauen? Wie kann ich mir selbst trauen?
Morgen möchte Collin, dass ich die Stocktons kennenlerne. Eine sehr nette Familie, sagt er. Eine echte, vollständige Familie.
Mom, ich vermisse dich. Wenn du dies liest: Ich vermisse dich.
KOMMENTARE
Reverend Brown:
9. Oktober 2009 18:45 Uhr
Wir Überlebenden kennen deine Seele, Allison. Ich habe im Kingdom House hier in Atlanta laut vorgelesen, was du geschrieben hast. Und es war mein Jamal, gerade mal
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