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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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so schnell verbreitet. Als zur Jahrtausendwende schließlich die Dotcom-Blase platzte, gehörten Sexseiten außerdem zu den wenigen Angeboten, die noch echtes Geld machten. Heute kommt die Seite YouPorn manchmal auf 60 Millionen Klicks an einem Tag.
    Sexuelle Inhalte werden aber nicht immer von kommerziellen Anbietern oder zeigefreudigen Usern hochgeladen. Einer der eher in Vergessenheit geratenen Meilensteine in der Geschichte des Internets ist der Starr-Report. Er wurde am 11 .September 1998 ins Netz gestellt. Seitdem kann man auf der ganzen Welt nachvollziehen, was US-Präsident Bill Clinton mit der Praktikantin Monica Lewinsky gemacht hat. Kein Detail lässt der Starr-Report aus: Er zählt auf, wie oft es zum Oralverkehr gekommen ist, wann dies einen Orgasmus einschloss und was der Präsident mit einer Zigarre anstellte. Das Interesse am Starr-Report war weltweit so groß, dass sich US-Medien vor der Online-Veröffentlichung sorgten: » Wird das Internet den Starr-Report überleben? «
    Das Internet überlebte den Starr-Report nicht nur. Im Gegenteil: Der Bericht verhalf dem Internet vielmehr zu seinem ersten Großereignis. Internet-Junkies und Teilzeit-User, selbst widerwillige Journalisten, die das neue Medium nicht ernst nehmen mögen– sie alle zog es an diesem Tag ins Netz. Wer sich ein Bild von der Lewinsky-Affäre machen will, muss online sein. Und plötzlich weiß die halbe Welt, was ein » blow job « ist.
    Weil Sex und das Internet so eng miteinander verflochten sind, geraten in der öffentlichen Diskussion aber öfters Dinge durcheinander, die eigentlich scharf getrennt werden müssten. Freizügige SchülerVZ-Profilfotos führen plötzlich direkt zu harter Pornografie, und auch Kinderpornografie scheint zu einem noch größeren Problem zu werden. Alles Sex, alles Internet– das ist die einfache Formel, mit der viele Politiker und auch viele Lobbyisten in Sachen Jugendschutz operieren. Zusammen mit dem Mythos, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei, entsteht so die Vorstellung von einem digitalen Sündenpfuhl, der sich sekündlich ausweitet und jeden minderjährigen User mitreißt.
    Aber um Kinder und Jugendliche wirksam vor Missbrauch und der Konfrontation mit verstörendem Material zu schützen, muss man das Problem differenzierter betrachten. Um die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet zu stoppen oder wenigstens einzudämmen, muss man wissen, welches Ausmaß und welche Strukturen dieser Markt tatsächlich hat. Um die Gefahren von Pornografie online richtig einschätzen zu können, muss man damit vertraut sein, wer sie nutzt und warum. Und um die Sexualisierung der Öffentlichkeit, die Verbreitung des » Porno-Chic «, angemessen zu kritisieren, muss man verstehen, welche gesellschaftlichen Entwicklungen über die Technik hinaus dazu geführt haben.
    Von einer Industrie, die ziemlich gut versteckt ist
    Die Verbreitung von Kinderpornografie im Netz ist sicherlich das Thema, das die größten Ängste hervorruft. Leider ist es auch das Thema, über das am meisten Halbwissen und Fehlinformationen kursieren. So hat sich in den vergangenen Jahren die Überzeugung verbreitet, dass im Internet eine millionenschwere Missbrauchsindustrie entstanden wäre– ein Netzwerk an Produzenten und Konsumenten von Kinderpornografie, in dem Letztere bereit sind, jeden Preis zu bezahlen und Erstere immer neue und immer härtere Ware liefern. Von » monatlichen Millionenbeträgen « , die kommerzielle Anbieter von Kinderpornos online scheffeln würden, sprach zum Beispiel Ursula von der Leyen (CDU), als sie noch Bundesfamilienministerin war. Für sie war das ein Grund dafür, das umstrittene Gesetz zu Internetsperren auf den Weg zu bringen.
    Udo Vetter glaubt nicht an eine Kinderporno-Industrie. Der 46 -Jährige ist Rechtsanwalt und Autor des » Lawblog « , einem vielbeachteten Blog zu Fragen digitaler Nutzungsrechte und Datenschutz. Vetter hat zahlreiche Männer, die wegen des Besitzes von Kinderpornografie angeklagt wurden, vor Gericht verteidigt. » Da war noch kein Fall mit kommerziellem Hintergrund dabei « , sagt er. Das liegt daran, dass es keine sicheren Bezahlungsmodalitäten für private User im Netz gibt– sie können nicht einfach von einer Kreditkarte etwas abbuchen. Für Kinderpornografie online zu bezahlen, ist für Kunden und Verkäufer mit

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