Sie nennen es Leben
das Generationen-Label. Nach diesem Motto scheinen sich die Bücher zu Gesellschaftstrends seit den 1990 er Jahren zu richten: von » Generation Golf « über » Generation Umhängetasche « bis » Generation Porno « stapeln sich die Werke zum Zeitgeist nur so.
Der inflationäre Gebrauch des Begriffs ist allerdings kein neues Phänomen. Schon 1928 kritisierte der Soziologe Karl Mannheim in seinem Aufsatz » Das Problem der Generationen « , dass der Begriff » Generation « viel zu oft undifferenziert eingesetzt würde: willkürlich würden junge Menschen und ein jeweils aktuelles gesellschaftliches Phänomen in einen inneren Zusammenhang gebracht. So entstünde eine » Geschichtstabellensoziologie « , die ohne tiefergehende Analyse » zu den erforderlichen historischen Zeitpunkten durchaus neue geistige Generationsströmungen durch Geschichtsklitterung zu entdecken imstande ist. « Mit anderen Worten: wer eine Generation entdecken will, wird dies auch tunâ egal, was das Material hergibt.
Das ist auch bei den » digital natives « der Fall, denn alle Zahlen belegen: Sie sind gar nicht geschlossen online. Laut der europaweiten Studie » EU Kids Online « nutzen in Deutschland 75 Prozent aller Kinder zwischen 6 und 17 Jahren das Internet. Damit liegt Deutschland genau im EU-Durchschnitt. Die Schwankungen innerhalb der Europäischen Union sind allerdings enorm: Während in Italien nur 47 Prozent aller Kinder Zugang zum Internet haben, sind es bei ihren Altersgenossen in Finnland rund 94 Prozent. Alle EU-Nachbarstaaten von Deutschland weisen übrigensâ mit Ausnahme von Belgien und Luxemburgâ einen höheren Grad an Internetnutzung unter Kindern auf: So kommt Frankreich beispielsweise auf eine Verbreitung von 76 Prozent, Polen bereits auf 89 und die Niederlande sogar auf 93 Prozent.
Diese Zahlen zeigen bereits, wie schwierig es ist, von einer internationalen, geschweige denn globalen Generation zu sprechen. Um die Unterschiede bei den Zugangsmöglichkeiten zum Internet zu kennzeichnen, wird deshalb oft der Begriff des » digital divide « , der digitalen Spaltung, benutzt. Auf der einen Seite dieser Spaltung stehen die, die ungehinderten Zugang zum Internet haben; auf der anderen Seite finden sich die wieder, denen durch Geldmangel und fehlende Technik der Weg ins digitale Zeitalter bislang versperrt ist.
Der Begriff des » digital divide « ist zwar wichtig, um die fortdauernden Unterschiede in der reinen Verfügbarkeit von digitalen Medien deutlich zu machen. Doch er reicht nicht aus, um die Vielschichtigkeit der Nutzung zu erfassen: denn wenn die » digital natives « im Internet sind, machen sie dort nicht unbedingt dieselben Dinge.
2007 kam eine Forschergruppe um die australische Erziehungswissenschaftlerin Sue Bennett in einem vielbeachteten Aufsatz zum digitalen Lern- und Nutzungsverhalten von Schülern und Studenten zu dem Schluss: Innerhalb der » digital natives « gibt es genauso viele Unterschiede wie zwischen den einzelnen Generationen.
Diffusen MutmaÃungen wie zum Beispiel jener, dass Jugendliche wie selbstverständlich eigene Online-Inhalte wie YouTube-Videos oder Blogs schaffen, setzten Bennett und Kollegen konkrete Studien entgegen. Demnach hatte nur rund ein Fünftel der befragten Studierenden jemals » user-generated content « geschaffen. » Es gibt keine Belege für eine weitverbreitete und umfassende Abkapselung oder für eine deutlich andere Art des Lernens, wie wir sie noch nicht gekannt haben « , resümierte das Forscherteam. » Wir mögen zwar in einer hoch technologisierten Welt leben, aber es ist denkbar, dass dies durch Evolution statt Revolution herbeigeführt worden ist. Junge Menschen mögen Dinge anders machen, aber wir haben keinen Grund, sie als fremdartig anzusehen. «
Die Forscher gaben auÃerdem zu bedenken, dass im Bildungsbereich eine grobe Verallgemeinerung wie das Label » net generation « sogar Schaden anrichten könnte. Indem die Technik in den Mittelpunkt gestellt wird, würden wichtige kognitive Differenzen zwischen Kindern und Jugendlichen verkannt. Das Kurzzeitgedächtnis zum Beispiel entwickelt sich zwischen Kindheit und Jugend so stark, dass für beide Altersgruppen kaum von einer vergleichbaren Aufnahmekapazität gesprochen werden kann. Ein einheitliches Lernkonzept für alle » digital natives « würde
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