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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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der Beziehungen ihrer Mitglieder untereinander geprägt sind: Man muss nicht mit Barack Obama persönlich bekannt sein, um sein Facebook-Fan zu werden. Auf Schlagworte wie #iranelection kann man ohne Geheimtipp von Freunden stoßen.
    Werkzeuge wie Social Networks machen es tatsächlich möglich, solche Gruppen lächerlich einfach zu organisieren– siehe auch die Visual-Kei-Fans. Doch sie sind nur eine von vielen Gruppenformen. Gemeinschaften, wie sie sich spontan bei der Jagd auf das verlorene Handy gebildet haben, eignen sich nicht dafür, auf neue Formen des politischen Engagements zu schließen. Echte Revolutionen, die nicht nur in den Medien so genannt werden, werden von Facebook-Gruppen nicht ausgehen, dafür sind sie zu unverbindlich. Das soll sie nicht abwerten. Es soll nur dabei helfen, realistische Erwartungen an Dienste wie Twitter zu entwickeln.
    Â» In praktisch allen autoritären Regimen gibt es eine große Zahl nicht überwachter Aktivisten, Dissidenten und regimekritischer Intellektueller, die Facebook bestenfalls dem Namen nach kennen « , schreibt Evgeny Morozov. » Diese nicht übers Internet verbundenen und doch effektiven Netzwerke zu unterstützen, wird mehr bringen als der Versuch, Blogger zu politischen Aktivitäten anzuhalten. «
    Ãœbertragen auf jugendliches Engagement, kommt die britische Soziologin Sonia Livingstone zu demselben Ergebnis: Schule, Familie und Peers– also alles Bereiche, in denen enge Verbindungen vorherrschen– prägen das Leben von Jugendlichen. Hier findet politische Bildung statt und entstehen Sympathien für bestimmte Parteien oder Themen. Erst diese Einbettung ermöglicht es Jugendlichen, sich politisch – egal ob on- oder offline – zu engagieren. » Um den breiten Schwund an politischer Partizipation unter Jugendlichen abzuwenden « , schreibt Livingstone, » ist es wohl sinnvoller, offline Initiativen zu starten, die die gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen verbessern. «
    Politisches Engagement im Zeitalter der Digitalisierung ist meist nicht digital. Es entsteht offline und kann auch nur dort geweckt werden. Auch wenn die Kosten, eine Gruppe online zu organisieren, auf ein lächerliches Niveau gesunken sind: die schwierigste, demütigendste Sache der Welt kostet nach wie vor unheimlich viel Geld, Zeit und Nerven.

Nachwort
    Simon muss feststellen, dass sich seine Eltern ohne sein Wissen in sein SchülerVZ-Profil eingeloggt haben. Vivian begegnet beim Videochat masturbierenden Männern. Juliane wundert sich, warum ihre Bekannten auf Facebook schreiben, dass sie gerade beim Essen sind. Dominik vermutet, dass bei einem bestimmten Social Network eher » Asis « Mitglied sind.
    Um zu verstehen, was Jugendliche im Internet erleben, muss man ihre soziale Stellung kennen. Man muss wissen, wie sich die Jugendphase verändert hat und wie sich das Verhältnis von Eltern und Kindern heute gestaltet. Social Networks sind nicht einfach sinnlose Klatschbörsen. Sie bieten Jugendlichen auch einen Rückzugsraum vor ihren Eltern. Jugendliche nutzen diesen Raum, um ihre Peer-Kultur auszuleben und ihren Status zu verhandeln.
    Social Networks sind aber keine neutralen Räume. Soziale Spaltung und Ungleichheit machen sich hier ebenfalls bemerkbar. Sie wirken auf die Kommunikation unter Jugendlichen ein und sind gleichzeitig auch ihr Ergebnis.
    Mit einem umfassenderen Blick auf Jugendliche und ihr soziales Umfeld zeigt sich auch: Im Internet sind Jugendliche sowohl Pioniere als auch Nachzügler. Einerseits sind sie die Ersten, die mit Social Networks aufwachsen. Sie müssen deshalb einen eigenen Weg finden, wie sie mit den Herausforderungen und Veränderungen, die die neuen Medien mit sich bringen, umgehen. Vorbilder gibt es dabei nicht. Die Fehler, die sie machen, aber auch die Erfolge, die sie erzielen, sind allein ihre.
    Andererseits nutzen Jugendliche nur einen Bruchteil des Angebots, welches das Internet für sie bereithält. Indem sie das Netz vor allem zur Kommunikation und nicht zur Informationssuche gebrauchen, entgeht ihnen vieles, was das Medium so aufregend macht– nämlich Begegnungen mit Ideen und Menschen jenseits ihres sozialen Umfelds.
    In der öffentlichen Debatte wird das Nutzungsmuster Information meist unter dem Gesichtspunkt der möglichen Risiken diskutiert. Unter den fremden Ideen und Menschen, auf die die Jugendlichen stoßen könnten,

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