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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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der Zivildienst an. Danach will er studieren, entweder Psychologie, Philosophie oder Jura. Ein konkretes Berufsziel hat er nicht, aber das ist auch nicht entscheidend für ihn. » Mir ist wichtig, dass mich die Sache packt « , sagt Paul.
    Was ihn packt, ist die Piratenpartei. Er ist Beisitzer im Landesvorstand Hamburg, zusätzlich leitet er noch den örtlichen Jugendverband, die Jungen Piraten (JuPis). Jeden Dienstag trifft sich die Landespartei im alternativen Kulturzentrum Haus 73 im Schanzenviertel, sonntags kommen die JuPis zusammen. Viel Zeit, die für eine Partei draufgeht, die bei der Bundestagswahl 2009 auf zwei Prozent der Wählerstimmen kam, könnte man meinen. » So habe ich das noch nie gesehen « , sagt Paul.
    Im Januar 2009 hörte Paul das erste Mal von der Partei, die für Bürgerrechte und informationelle Selbstbestimmung eintritt. Bis er sich zu einem Treffen der Piratenpartei wagte, verging aber noch ein halbes Jahr. Auf seiner Schule, erzählt Paul, interessierte sich niemand für Politik. Im Juni ging Paul schließlich allein zu einer Parteiversammlung: In der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes hatten sich über hundert Anhänger der jungen Partei in einem Hamburger Beachclub eingefunden. Paul wurde umgehend Mitglied. » Ich hätte es mir persönlich nicht verziehen, hätte ich nur an der Seite gestanden « , sagt er. Pauls Freundin ist auch Mitglied bei der Piratenpartei geworden, seine Eltern sympathisieren mittlerweile auch, » jedenfalls mit den Zielen « , sagt er.
    Paul bildet mit seinem Parteiengagement die Ausnahme innerhalb seiner Altersgruppe: Dass sich Jugendliche wenig für herkömmliche Politik interessieren, ist kein Klischee. Nur rund 1 , 5 Prozent von ihnen sind in einer Partei aktiv.
    Abhilfe soll da das Internet schaffen. In den wenigsten Bereichen werden die Potenziale des Netzes so hoch eingeschätzt wie in der Politik. Im gesamten politischen Spektrum, vom rechten bis zum linken Rand, gelten die neuen Medien als Allheilmittel gegen Apathie und Politikverdrossenheit. Keine Partei ohne Internetpräsenz, keine NGO ohne E-Mail-Verteiler.
    Die Hoffnungen, die aufs Internet gesetzt werden, kommen nicht von ungefähr. Forscher sehen klare Parallelen zwischen den Funktionsweisen des Netzes und dem Wandel des politischen Engagements von Jugendlichen. Die deutschen Medienwissenschaftler Uwe Hasebrink und Ingrid Paus-Hasebrink haben vier solche Parallelen ausgemacht.
    Demnach ist das politische Engagement von jungen Menschen heutzutage dadurch geprägt, dass sie erstens flexible Aktionen anstelle von fixen Organisationen bevorzugen. Aktion, Eigeninitiative, Spontaneität, Arbeit an Projekten und ad hoc gebildete Gruppen: All das sind Formen von Engagement, für die sich das Internet besser als jedes andere Medium eignet. Nirgendwo ist der Aufwand so gering, eine eigene Plattform zu gründen und andere über Aktionen zu informieren– und die Plattform anschließend wieder zu löschen.
    Zweitens hat sich unter Jugendlichen der Blick auf Politik verändert. Das Nationale verliert an Bedeutung. Stattdessen werden sowohl die lokale als auch die globale Perspektive immer wichtiger. Das zeigt sich am Einsatz junger Menschen bei so unterschiedlichen Themen wie Stuttgart 21 oder der Klimakonferenz in Kopenhagen. Das eine betrifft ein konkretes, lokales Bauprojekt, das andere eine abstrakte, globale Bedrohung. Gerade bei globalen Entwicklungen hat sich das Internet als unverzichtbare Informationsquelle erwiesen: Kein Medium sonst ermöglicht so schnelle und kostengünstige Kommunikation über alle Kontinente hinweg.
    Drittens stehen Jugendliche den klassischen Medien zunehmend skeptisch gegenüber. Diese gelten als beschränkt in der Themenwahl und voreingenommen bei der Berichterstattung. Das Internet hingegen bietet eine endlose Zahl an Quellen und Themen. Hier sind alle Standpunkte vertreten, auch wenn man sie sich in der Regel selbst zusammensuchen muss.
    Viertens, so das Wissenschaftler-Ehepaar, spiegelt das Internet den inhaltlichen Pragmatismus vieler junger Menschen wider. Sie sind nicht von alten Ideologien geprägt, sondern lassen sich auf Gespräche mit Menschen anderer Überzeugungen und Hintergründe ein. Für solche Kontakte stellt das Internet das beste Forum dar.
    Vor allem beim letzten Punkt scheint Vorsicht geboten zu sein. In vorhergehenden Kapiteln hat sich gezeigt, wie

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