Sie nennen es Leben
Bürger an. Es ist also zu erwarten, dass zurzeit eine Altersgruppe heranwächst, die sich deutlich stärker als ihre Vorgänger für Politik begeistert.
Wichtig ist hier aber auch wieder der Bildungshintergrund: Jugendliche aus bildungsnahen Haushalten interessieren sich deutlich häufiger für Politik und suchen auch im Internet verstärkt nach Informationen zum Weltgeschehen.
Wo die politischen Sympathien von Jugendlichen liegen, ist sehr ungleich verteilt: Polizei, Gerichte und Bundeswehr sowie Menschenrechts- und Umweltgruppen stoÃen laut Shell-Studie auf viel Vertrauen. Deutlich skeptischer werden dagegen die Regierung, die Kirchen, groÃe Unternehmen und Parteien betrachtet. Auf den Crash der Weltwirtschaft 2008 haben die jungen Deutschen besonders kritisch reagiert: Wirtschaft und Finanzbranche wird kaum Vertrauen geschenkt, speziell der Ruf der Banken hat gelitten.
Angesichts dieser Zahlen scheint es wenig sinnvoll, das politische Engagement von Jugendlichen danach zu bewerten, wie sehr sie sich für Parteien einsetzen oder auf Online-Kampagnen der Bundesregierung reagieren. Aber wie sieht dann modernes politisches Engagement im Zeitalter der Digitalisierung aus?
Lächerlich einfach zu organisierende Gruppen
Als die New Yorkerin Ivanna an einem Nachmittag im Mai 2006 ihr Handy in einem Taxi vergaÃ, hätte sie sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass sie eben diese Nachlässigkeit einmal berühmt machen würde. Ivannas Freund Evan setzte nämlich eine Websites auf, um das teure Handy wiederzubekommen. Ãber den Handy-Betreiber waren Ivanna und Evan an Daten gekommen, die zeigten, was die Person machte, die das Telefon gefunden hatte: Sie machte Fotos von sich und verschickte sie an Freunde. Damit hatte Evan sowohl ein Bild der Finderin als auch ihre E-Mail-Adresse. Sofort schrieb Evan den Teenager, der sich als die 16 -Jährige Afroamerikanerin Sasha herausstellen sollte, an. Doch statt des Handys erhielt Evan nur eine rüde E-Mail von Sasha: Sein » weiÃer Arsch « verdiene nicht, dass sie ihm » ihr « Telefon zurückgebe.
Daraufhin war Evans Ehrgeiz geweckt. Er startete eine private Web-Kampagne, in deren Verlauf mehrere Message Boards aufgesetzt wurden, die kurze Zeit später wegen der hohen Userbeteiligung zusammenbrachen, über die zahllose Zeitungen und Fernsehsender berichteten und die am Ende sogar dazu führte, dass die Polizei Sasha festnahm. Mitte Juni bekam Ivanna ihr Telefon wieder.
Die Geschichte von Ivanna, Evan, Sasha und dem verlorenen Handy ist in Clay Shirkys Bestseller » Here Comes Everybody « verewigt worden. Auf evanwashere.com, der Originalseite, die Evan aufsetzte, ist sie im Netz nachzulesen. Für Shirky illustriert die Geschichte den Wandel, den die neuen Medien herbeigeführt haben: Die Kosten für Initiativen wie die Suchaktion nach Ivannas Handy gehen gegen null. Der Begriff Kosten umfasst hier nicht nur Geld, sondern auch die Zeit und den Einsatz, die man für eine Sache verwenden muss. Alles hat sich durch die Digitalisierung verändert: Evan musste nicht mehr eine Zeitungsannonce schalten oder Flugblätter verteilen, um die Geschichte des Handys in die Ãffentlichkeit zu tragen. Die Website hat ihn lediglich einen Cent-Betrag gekostet und ging sofort online. Mails, SMS und Facebook-Nachrichten mit Verweisen auf die Seite waren ebenso schnell und kostengünstig an Freunde verschickt. Die konnten sie wiederum zu denselben Bedingungen weiterleitenâ und die Zahl der Menschen, die vom Verlust des Handys erfuhren, stieg von Minute zu Minute an.
Der Aufwand, sich für Evan und Ivanna einzusetzen, war auÃerdem überschaubar: Wer etwas über die Finderin Sasha und ihre Familie wusste oder Evan beraten konnte, wie er am besten eine Anzeige wegen Diebstahls aufsetzen sollte, musste nur eine E-Mail schreiben oder die Informationen in einem der Message Boards posten. Um die Polizei dazu zu bringen, Sasha zu verhaften, musste niemand auf die Barrikaden gehen. Genauer gesagt musste keinerâ auÃer den Polizistenâ auch nur einen Fuà auf die StraÃe setzen: Evan und seine Unterstützer leisteten ihre Arbeit von ihren Computern aus.
» Lächerlich einfach zu organisierende Gruppen « nennt Shirky in Anlehnung an den Sozialwissenschaftler Sébastien Paquet Gemeinschaften, wie sie rund um Evans Website entstanden sind. Für ihn weisen sie in die Zukunft:
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