Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Lenny besetzten an diesem Tag den Rettungswagen. Wie auch wir waren die beiden unterwegs zum Einsatz. Als ich nebenbei erwähnte, dass der »Unglücksmagnet« André mit von der Partie sei, wuchs das Unbehagen bei Erwin beträchtlich. Die Einsatzmeldung passte ebenfalls. »Schwerer Verkehrsunfall mit Motorradbeteiligung auf einer Landstraße« in der Nähe unserer Rettungswache. Nähere Informationen bekamen wir zunächst nicht. Erwin und ich hatten während der Anfahrt keine Rückmeldung gehört. Ein schlechtes Zeichen. Nur wenn genügend Zeit und der Einsatz nicht dringlich war, gab die Besatzung vor Ort eine Lagemeldung an die Leitstelle ab. In diesem Fall war die Lage also ernst.
Das illegale Straßenrennen der Biker fand kurz vor Erreichen des Ortes, in dem sich unsere Rettungswache befand, ein abruptes Ende. Der Bauer hatte sie nicht kommen sehen. Er hatte versucht, mit seinem Traktor und den beiden mit Getreide beladenen grünen Anhängern nach links auf ein Feld abzubiegen und hatte die pfeilschnellen Maschinen nicht gehört, bis die Kollision erfolgte. Ein Biker schlug von hinten mit hoher Geschwindigkeit in den zweiten Anhänger ein. Das Gewicht des Anhängers war aber so groß, dass dieser wie festbetoniert stehen blieb. Eine Viertelsekunde später zerschellte der Körper des anderen Bikers am Traktor des Bauern. Dieser konnte nichts tun, um den Aufprall zu verhindern, so gerne er es wahrscheinlich gewollt hätte. Ein kurzer Ruck ging durch den Traktor, dann war da das Zischen kaputter Motoren und ausströmender Kühlflüssigkeit. Motorenöl ergoss sich über die Straße und blubberte ins Erdreich.
Zwei Autos hielten an der Unfallstelle. Die Fahrer stiegen aus und verharrten einige Sekunden lang reglos an der Fahrertür. Niemand sagte etwas. Ein Zeuge des Unfalls hatte sein Handy in der Hand und wählte die 112.
Der Alarm erreichte uns um 11.59 Uhr. Zehn Minuten nach dem Alarm lag die Einsatzstelle in Sichtweite. Ich übermittelte meine Lagemeldung an die Rettungsleitstelle: »Leitstelle von 1/82/1, drei beteiligte Fahrzeuge und drei Personen. Davon zwei Schwerverletzte und ein Patient mit Schock. Wir brauchen einen Helikopter und einen zweiten Rettungswagen.«
»1/82/1, alles klar. Ich schicke euch Hilfe.«
»Ergänze: eine laufende Reanimation.« Einen zweiten Hubschrauber konnten wir uns sparen. Eine traumatologische Reanimation dieses Grades war ziemlich aussichtslos.
»1/82/1, verstanden«, schloss die Leitstelle. Eine Folge an Selektivruftönen rief eine Kaskade an Rettungsmitteln zum Einsatz. Auf- und abschwellende Sirenen alarmierten die Feuerwehren der umliegenden Gemeinden.
Lenny und André versuchten derweil, den einen Biker wiederzubeleben. Zunächst die Sicherung der Atemwege durch einen Beatmungsschlauch in der Luftröhre, die endotracheale Intubation. Die Intubation war zwar geglückt, jedoch saugte Lenny Blut aus dem Tubus ab. Der Biker hatte offenbar schwerste innere Verletzungen.
»Wir legen zwei Thoraxdrainagen«, meinte Erwin zu Lenny. Mittels der Drainagen konnten Zugangsmöglichkeiten in den Brustkorb des Mannes geschaffen werden. Hierzu wurde ein zweiteiliges chirurgisches Instrument namens Trokar verwendet, das mich entfernt an eine Stricknadel erinnerte. Erwin benötigte nicht lange, die Drainagen lagen sicher und förderten leider wiederum eine Menge Blut nach außen, was wir schon befürchtet hatten. Der Kreislauf stabilisierte sich nicht.
Ich kam nicht gut an den anderen Biker heran, dessen Körper mit dem Traktor verschmolzen zu sein schien. Der schwarze Lederanzug glänzte in der Sonne, nur ein Arm hing herab und war frei zugänglich. Ich tastete den Puls am Handgelenk und erwartete nichts.
»Der is’ tot, oder?«, fragte ein Zeuge und trat zu mir. »Ich hab’s gesehen.«
»Sie haben den Aufprall gesehen?«
»Ja.«
»Was ist passiert?«
»Die beiden haben sich ein Rennen geliefert. Waren unglaublich schnell. Unglaublich ... schnell.«
»Und dann?«
»Sind wie aus dem Nichts aufgetaucht, und dann hat’s geknallt. Dann sind beide in das Ding eingeschlagen. Der hat nicht geblinkt beim Abbiegen. Ich hab’s von hinten gesehen.«
Der Bauer stand derweil mit eingefrorener Miene am Straßenrand und beobachtete die Rettungsaktion. Schweißperlen rannen ihm von der Stirn. Er zitterte, rang nach Fassung. Sein Blick ruhte zunächst auf dem Biker, der gerade wiederbelebt wurde, dann auf dem zweiten, dem eingeklemmten Motorradfahrer. »Was wird jetzt werden?«, dachte
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