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Sie und Allan

Sie und Allan

Titel: Sie und Allan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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seinem Brüten gerissen, starrte die königliche Frau auf der Couch mit offenem Mund an.
    »Mann«, flüsterte er. »Ich bin wieder im Delirium, obwohl ich seit Wochen keinen Tropfen angerührt habe, denn das dort ist kein menschliches Wesen, das kann ich in meinen Knochen fühlen.«
    Umslopogaas stand aufgerichtet und finster, die Hände auf dem Stiel seiner großen Axt verschränkt, und starrte sie ebenfalls an; man sah das Blut unter der Haut pulsieren, die das Loch in seinem Schädel überzog.
    »Wächter der Nacht«, sagte er mit seiner tiefen Stimme leise zu mir, »diese Herrscherin ist nicht eine Frau, sondern alle Frauen. Unter ihrer Robe glaube ich die Schönheit einer zu erkennen, die ins Jenseits gegangen ist, der Lilie, die ich verloren habe. Fühlst du auch so, Macumazahn?«
    Jetzt, da er es erwähnte, wurde es mir bewußt: ich hatte es zwar schon die ganze Zeit gespürt, doch bei der plötzlichen Überflutung mit Gefühlen hatte sich dieses in meinem Bewußtsein nicht herausschälen können. Ich starrte auf die verhüllte Gestalt und sah – nun, es ist gleich, wen ich sah; es war nicht eine, sondern es waren mehrere in rascher Folge, darunter auch eine, die ich noch nicht einmal kannte, jedoch später kennenlernen sollte, zu gut vielleicht, oder zumindest gut genug, um mich in Verwirrung zu stürzen. Das Eigenartige war, daß bei dieser Halluzination die Persönlichkeiten dieser Frauen einander zu überlagern und miteinander zu verschmelzen schienen, bis ich mich schließlich fragte, ob sie nicht alle Teile derselben Entität, desselben Wesens wären, das sich in verschiedenartiger Form manifestierte, jedoch einem Mittelpunkt entsprang, so wie verschiedenfarbige Strahlen aus demselben Kristall kommen, wenn die Strahlen der Lichtquelle wechseln und sich verändern. Doch diese Vorstellung ist zu metaphysisch, als daß mein geringer Verstand sie so zu schildern vermag, wie ich es möchte. Außerdem war sie lediglich eine Halluzination, die ihren Ursprung vielleicht in dem übermütigen Gehirn derer hatte, die dort vor uns saß.
    Schließlich sprach sie, und ihre Stimme klang wie eine silberne Glocke, die in einer großen Stille über ein Gewässer schallt. Sie war leise und sanft, so sanft, daß bei ihrem Aufklingen mein Gehirn zu kreisen schien, und mein Herz stillzustehen drohte. Ich war es, an den ihre Worte gerichtet waren.
    »Mein Diener«, sagte sie mit einer fast nicht wahrnehmbaren Kopfbewegung zu dem knienden Billali hin, »sagt mir, daß Ihr, der Ihr ›Wächter der Nacht‹ genannt werdet, die Sprache versteht, in der ich jetzt zu Euch spreche. Ist es so?«
    »Ich verstehe Arabisch einigermaßen, da ich es an der Ostküste und von Arabern gelernt habe, doch nicht das Arabisch das Ihr sprecht, Lady ...«
    »Nennt mich Hiya«, sagte sie, »was mein Titel hier ist und, wie Ihr wißt, Sie oder Frau bedeutet. Oder, wenn Euch das nicht gefällt, könnt Ihr mich auch Ayesha nennen. Es würde mich freuen, nach so langer Zeit meinen Namen von den Lippen eines Mannes meiner Hautfarbe zu hören.«
    Ich errötete über dieses Kompliment, das so geschickt gemacht wurde, und wiederholte wie ein Trottel: »... doch nicht das Arabisch, das Ihr sprecht ... ah ... Ayesha.«
    »Ich dachte mir, daß der Klang des Wortes Euch besser gefallen würde als Hiya, und später werde ich Euch lehren, es so auszusprechen, wie es ausgesprochen werden sollte. Ah ... habt Ihr noch einen anderen Namen als ›Wächter der Nacht‹, der ebenfalls ein Titel zu sein scheint?«
    »Ja«, antwortete ich. »Allan.«
    »Oh ... Allan. Erzählt mir von jenen«, fuhr sie rasch fort und deutete mit einer Geste ihrer feingliedrigen Hand auf meine Gefährten, »da sie, wie ich glaube, nicht Arabisch sprechen. Oder wartet, ich werde es tun, und Ihr sagt mir, ob es richtig ist. Dieser«, sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken auf Robertson, »ist ein innerlich zerrissener Mensch. Es geht eine Farbe von ihm aus, die ich sehen kann, Ihr jedoch nicht, und die Farbe verrät einen Wunsch nach Rache, obwohl ich glaube, daß er zu seiner Zeit auch andere Wünsche gehabt hat, wie sie Männer von Anbeginn an hatten, und die sie in ihr Verderben führten. Die menschliche Natur ändert sich nie, Allan, und Wein und Frauen sind uralte Fangnetze. Doch genug über ihn. Der kleine, gelbe Mann hat Angst vor mir, wie Ihr alle. Das ist die größte Macht der Frau; obwohl sie so schwach und sanftmütig ist, haben die Männer Angst vor ihr, weil sie so

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