Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
natürliche Erotik zu verlassen, die bei jedem Menschen eine eigene Ausprägung hat, wie ein Fingerabdruck. Je verunsichernder diese Fragen auf uns wirken, desto geringer ist unsere Flirtkompe-tenz, unsere Fähigkeit, mit dem anderen Geschlecht auf reizende Art Kontakt aufzunehmen. Diesem Teufelskreis entkommt am besten, wer sich klarmacht, dass ein Flirt kein Heiratsantrag ist. Man darf ihn nicht ernst nehmen, er beinhaltet keinerlei Ver-pflichtung, sondern weckt die Lebenslust 117
und kitzelt besonders den Sinn für Möglichkeiten, entfaltet den Zauber dessen, was sein könnte, schickt uns auf diese schönste aller Phantasiereisen mit dem Titel: Was wäre wenn? Flirten ist Spaß, den zwei Wesen zusammen haben können, die sich erotisch voneinander angezogen fühlen. Unabhängig von Alter und Familienstand. Blicke, Verhalten, Gesten oder scherzhafte Worte be-kunden das Interesse desjenigen, der beim Hirten den ersten Ball spielt. Auf die Psyche des Beflirteten wirkt das wie eine Botox-spritze, die Falten verschwinden lässt. In Nanosekunden wird die eigene Erotik zu einer perfekten Mixtur aus Körper, Seele und Geist, geschmacklich auf dem Punkt.
Die Herzfrequenz ist erhöht und alle Sinne sind aktiv, wenn der Ball angenommen und entweder direkt oder über die Bande zu-rückgespielt wird. Mitunter führt dieses Kurzpass-Spiel sogar über Los, also zu einem Abstaubertor, oder auch ins Gefängnis, also in eine Beziehung. Jedenfalls hebt Flirten Laune und Selbstbewusstsein um 1000
Prozent.
Das Geheimnis erfolgreichen Flirtens ist die komplette Installation des Selbst im Augenblick. Aber man sollte auch das Objekt der Begierde nicht völlig aus den Augen verlieren. Ich erinnere mich an einen süßen Typen, der vor mir auf die Knie fiel, um mich mit original Romeo-Monologen anzu-schmachten. Er war nicht meine Baustelle, trotzdem wiederholte er seinen Act im Vier-telstundenrhythmus, bis ich das Lokal wechselte. Ganz anders die Situation in einem 118
kleinen französischen Supermarkt, in dem ich einkaufte, damals Anfang 20, während ich am Meer zeltete. Ein alter Mann stand an der Kasse und packte meine Einkäufe in Plastiktüten. Von diesem Service überrascht, strahlte ich den Mittsechziger mit einem
›Merci‹ an. Er, über seine Arbeit gebückt, schaute mich schräg von unten mit einem unverblümt feurigen Blick an und sagte schelmisch grinsend: ›Ihnen würde ich auch gerne beim Auspacken helfen.‹ Ha, ich weiß gar nicht mehr, ob ich rot geworden bin, wahrscheinlich, aber eines weiß ich, unsere Blicke versprühten Funken. Für mich sind die Augen zum Flirten so notwendig wie zum Küssen der Mund. Nur mit ihnen kann ich das zauberhafte Lächeln sehen, das entsteht, wenn ich jemandem sage: ›Als Gott dich schuf, wollte er sicher angeben.‹
ER Flirten
Manchmal, wenn man sich gerade wieder als Krone der Schöpfung fühlt, reicht ein Zeitungsartikel, um einem klarzumachen, wie schlicht wir Menschlein doch gestrickt sind. Männchen einer bestimmten Spring-spinnenart (»Habronattus dossenus«), las ich unlängst im Spiegel, werden von den Weibchen erst nach Gesangs- und Tanzdarbietungen mit Sex belohnt. Ein US-Forscher fand heraus, dass die Balzgesänge dieser Brautwerber aus Kratz- und Schlaggeräuschen, kombiniert mit eher hupenartigen Tönen bestehen. Begleitet werden die Dar-bietungen von Beinbewegungen, die dem 119
Werben den Anschein eines Stepptanzes geben.
Alle schönen Künste haben ganz offensichtlich ihren Ursprung in dem dringenden Wunsch, das Weibchen zur Paarung zu bewegen. Klassische Musik und Ballett, Jazz, Rock und Pop, Hip-Hop, Rap und Break-dance, Nachtigall und Minnesänger, Pfau und Pavarotti, Nashorn und Nurejew, alle wollen im Grunde nur das eine. Dabei kennt die Natur auch extreme, quasi kontraproduk-tive, weil devitalisierende Balzrituale. Die Erdkröte z. B. pumpt sich auf, um ein Balz-quaken zu produzieren. Nun wollen laut Süddeutsche Zeitung Spaziergänger an einem Weiher in Hamburg-Altona beobachtet haben, wie die Amphibien sich aufgeblasen hätten wie Ballons, um dann unter entsetzli-chem Gequake zu explodieren. Umweltex-perten und Veterinäre untersuchen das Krö-
tensterben zur Zeit. Haben wir es etwa mit einem Goethe’schen Drama zu tun, einem Werther auf Erdkrötenbasis? Sind Kröten überhaupt zu Gefühlen wie Kummer über Zurückweisung oder Eifersucht fähig?
Neben Balzoverperformern finden sich im Tierreich aber auch geborene Loser wie die Pinguine: Sie können nicht
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