Sie und Er
erzittert. Dann wischt er seine staubigen Hände an der Hose ab und geht quer über die Lichtung.
Sie folgt ihm, betrachtet die zahllosen kleinen weißen Schneckenhäuser, die dem Ort, der sonst zauberhaft sein könnte, etwas Beunruhigendes verleihen. Am oberen Rand der Lichtung wachsen etliche Obstbäume, übel zugerichtet durch die Hitze und weil sie vermutlich schon lange nicht mehr geschnitten oder gegossen wurden. Kurz darauf kommt eine halb vertrocknete Lorbeerhecke, dann ein grünlicher Pool. Tote Insekten und Blätter schwimmen auf dem stehenden Wasser, eine ertrunkene Eidechse mit dem Bauch nach oben, gelb und aufgedunsen; ein Plastikschlauch ringelt sich wie eine ertrunkene Schlange. Am Beckenrand stehen drei zerschlissene, verblasste Liegestühle, ein von der Sonne gebleichter Korbsessel, zwei geschlossene Sonnenschirme, vergessene Gläser, eine nicht ganz geleerte Flasche Pernod.
Mit dem Blick eines zurückgekehrten Flüchtlings betrachtet er das Ganze, halb zärtlich, halb befremdet. Er nimmt ein umgekipptes Glas, stellt es wieder hin, öffnet einen der rostigen, staubigen Sonnenschirme, zieht zwei Liegestühle in den Schattenkegel, setzt sich auf den einen.
Sie setzt sich steif auf die Kante des anderen. Warum, fragt sie sich, folgt sie ihm immer weiter auf seinen Wegen, bei seinen Stimmungsumschwüngen? »Bist du traurig?«
»Nein«, sagt er.
»O doch.« Sie weiß nicht, warum sie nachhakt: Sie weiß es nicht.
»Na gut.« Er mustert sie. »Bist du jetzt zufrieden?«
»Nein«, sagt sie. »Warum sollte ich?«
Sich am Kopf kratzend, blickt er zum Haus hinüber. Aus seinen Gesten, seinem Ausdruck ist jede Spur der freudigen Sicherheit gewichen, mit der er sie über den provenzalischen Markt gezogen hatte, scheinbar Herr der Lage, Herr des Ortes und dessen, was zwischen ihnen beiden passierte.
»War das eine große Liebe, mit dieser Lisette?« Eigentlich dürfte sie ihn das nicht fragen, denkt sie, aber an diesem Punkt ist jede Frage legitim, es hat keinen Sinn, weiter imaginäre Grenzlinien zu beachten.
Er dreht sich zu ihr um, sieht sie an, als hätte er keine Ahnung, wovon sie redet. Doch dann sagt er: »Ob sie groß war, weiß ich nicht.«
»Aber du hast sie geliebt«, sagt Clare.
»Ja«, sagt er.
»Wie war sie?«, fragt sie.
»Einfach, normal«, sagt er. »Sie hatte ein kleines Stoffgeschäft im Dorf. Sie hat es immer noch.«
»Waren die Frauen, die du vorher hattest, denn nicht normal?«, fragt sie.
Er schüttelt den Kopf: »Nein, die waren alle ziemlich verrückt. Maßlos, unausgeglichen, unvernünftig.«
»Warum wohl?«, sagt sie.
»Wahrscheinlich fand ich sie spannender«, sagt er. »Und stimmte das nicht?«
»Vielleicht schon«, sagt er. »Aber was sich dann jeweils abspielte, war gar nicht spannend.«
»Warum?«, sagt sie.
»Ein elender Machtkampf«, sagt er.
»Wer sich mehr für den anderen interessiert und wer weniger?« Plötzlich bekommt sie Herzflattern, mit der gleichen Frequenz wie das ununterbrochene Zirpen der Zikaden.
»Die kleinste Abweichung genügt«, sagt er. »Ein Milligramm mehr oder weniger.«
»An Aufmerksamkeit, an Fürsorge?« Sie hält den Atem an.
Er nickt.
»Ich weiß.« Sie denkt an die Machtspiele der Männer in ihren Liebesbeziehungen: an ihre Art, mit Kenntnissen und Fähigkeiten zu protzen, an ihre permanenten Versuche, ihre Selbstsicherheit zu untergraben. Das kleine herablassende Lächeln, der gutmütige, paternalistische Ton, die Erklärungen über die Welt, die Anweisungen, wie man sich zu verhalten hat. Sobald sie aber ein bisschen das Interesse verlor oder ein ganz klein wenig Unabhängigkeit gewann, wurden sie plötzlich kindlich, wehleidig, verletzlich, pathetisch, aufdringlich.
»Das ist doch schrecklich, oder?«, sagt er. »Dass knapp unter der Oberfläche jeder Beziehung ein Dauerkonflikt lauert.«
»Und mit Lisette war es nicht so?«, fragt sie.
Er schüttelt den Kopf. »Mit ihr habe ich entdeckt, was es bedeutet, unbeschwert zu sein. Ohne ständige Spannungen, ohne Szenen, ohne Selbstmorddrohungen, ohne Wegrennen und Verfolgungsjagden. Ein ganz normales Leben.«
»Aber?« Es erschüttert sie, wie vertraut ihr die Sache ist, wie sehr sie sie selbst betrifft.
»Offenbar eigne ich mich nicht besonders gut für das normale Leben«, sagt er. »Vielleicht kann ich das nicht, vielleicht genügt es mir nicht, ich weiß es nicht.«
»Was ist passiert?«, fragt sie. »Wieso ist es zwischen euch aus gewesen?«
Er blickt auf das
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