Sie und Er
stehende Wasser im Schwimmbecken: »Als ich einmal zwei Monate in Japan war, hat sie diesen Antoine Roccali aufgelesen. Diesen grottenschlechten Maler. Aber er gehört zu der Sorte Künstler, die ausgezeichnete Kritiker ihrer selbst sind und sich hervorragend promoten können. Dann hat er mich gefunden: Ich sponsere ihn, mit Leinwänden, Farben, Essen, Wohnen. Er hätte es schlechter treffen können, oder?«
»Tut mir leid.« Mehrere Vorstellungen von seinem Leben und seinem Verhalten gehen ihr durch den Kopf. Wird er dadurch besser, wird er schlechter? Sie weiß es nicht.
Er zuckt die Achseln, schaut weg.
»Tut mir leid«, wiederholt sie. Am liebsten würde sie aufstehen, sich zu ihm auf den Liegestuhl setzen, ihm die Hand auf die Schulter legen; ihn fest umarmen, ihn küssen. Doch sie kann sich nicht wegrühren von der Holzkante, die ihr in den Po schneidet.
»Auch bei ihr war alles schon da, sofort«, sagt er. »Gleich als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Die Stabilität und die Grenzen der Stabilität.«
»Trotzdem hast du nicht aufgegeben«, sagt sie.
»Ja«, sagt er. »Am Anfang war es eine unendliche Erleichterung. Und eine Entdeckung. Dass man mit Freuden die kleinen Dinge genießen kann, nicht gleich alles vergiften muss durch die ständige Forderung nach etwas anderem, nach mehr, nach Besserem.«
»Und dann?« In ihre Neugier mischt sich eine Form von bekanntem, fremdem, diffusem Schmerz.
»Dann haben sich die Grenzen gezeigt«, sagt er. »Nicht ihre, sie hat nie so getan, als wäre sie anders, als sie ist. Meine Grenzen in Bezug auf Stabilität.«
»Was ist passiert?«, fragt sie.
»Ich wurde allmählich depressiv«, sagt er. »Ich fühlte mich wie im Käfig. Ich dachte an die Zeit, die vergeht, an die Vergeblichkeit jedes menschlichen Tuns. Ich bin in einer Routine versackt, habe die Lust am Erfinden verloren.«
»Daraufhin hast du eine Möglichkeit gefunden auszusteigen.« Sie würde ihn gern fragen, wie man es macht, aus einer Beziehung herauszukommen: ob es eine Methode gibt, dem anderen und auch sich selbst nicht zu weh zu tun. Ob es eine Frage der Zeit, der Art und Weise, der Worte und Gesten ist. Sie würde gern fragen, was sie beide hier machen.
»Nein, ich bin noch jahrelang drin hängengeblieben.« Er schüttelt den Kopf.
»Aber warum denn?«, sagt sie.
»Weil es mir aufrichtig leidtat«, sagt er. »Ihr weh zu tun, eine gute und solide Beziehung zu zerstören. Wegen allem, was wir zusammen aufgebaut hatten. Dieses Haus, der Gemüsegarten, der Obstgarten, die kleinen gemeinsamen Träume, die wir uns erfüllt hatten. Wegen der Zeit, die wir in der Gewissheit, dass der andere da ist, Seite an Seite verbracht hatten, wie Pilot und Kopilot, Jahr für Jahr perfekter. Wegen der Verantwortung, die ich für sie empfand. Weil es zu spät war, um zu gehen, ohne mich wie ein schrecklicher Verräter zu fühlen.«
»Obwohl du die Grenzen von Anfang an gesehen hattest«, sagt sie. »Auf der berühmten, ultradetaillierten Momentaufnahme.«
Er schaut weg: »Oft denkst du, du findest etwas, weil du es gesucht hast.«
»Und ist es nicht so?« Sie wüsste es wirklich gern; es würde ihr nützen.
Er lächelt bitter. »Es handelt sich fast immer um eine Einbildung. Oder um eine vorübergehende Wahrheit.«
»Du meinst, wir übertünchen das, was wir finden, mit dem, was wir finden möchten?«, fragt sie.
»Ja«, erwidert er. »Wir finden die Andeutung eines Zeichens und fangen sofort an, die Leinwand zu bearbeiten, bis ein faszinierendes Porträt herauskommt, ohne uns klarzumachen, dass wir das Bild ja fast ganz selbst gemalt haben.«
Sie fragt sich, ob sie je begriffen hat, was oder wen sie eigentlich sucht; ob sie es oder ihn denn je gefunden hat, wenn auch nur für einen Augenblick. Sie erinnert sich an zwei oder drei sehr faszinierende Bilder, die sie unmittelbar oder auch lange immer neu gemalt hat, aber sie kann sich an keine wundergleiche Offenbarung erinnern, an kein Licht, das so hell strahlte, dass jede Unsicherheit von ihr abfiel. Nur von Zweifeln durchsetzte Gefühlsaufwallungen kommen ihr in den Sinn, Strohfeuer, die lang nachwirkende Enttäuschungen hinterlassen, sekundäre Einzelheiten, die so viel Bedeutung erlangen, dass sie gar nicht mehr sekundär sind, letzte Versuche, die erst vorletzte und dann wieder letzte Versuche werden, Trauer, die alles Übrige noch lange überdauert.
»Die Suche ist meist auch sehr oberflächlich«, sagt er. »Verfälscht durch zeitliche,
Weitere Kostenlose Bücher