Sie und Er
ragen, gegen die Reifen stoßen und das Rütteln noch ärger machen. Sonnenstrahlen dringen durch die Kronen der Pinien wie blendende Klingen, verdichten die weiße Staubwolke, die das Auto hinter sich aufwirbelt.
Er fährt schnell, ohne sich um die römischen Pflastersteine oder die Schlaglöcher und Vertiefungen zu kümmern: Schnaubend und klappernd rast der alte Jaguar durch den Wald. Dann biegt er um eine Kurve, fährt noch ein Stück und verlangsamt endlich vor einer kleinen steinernen Brücke, die mindestens so alt aussieht wie die Steine der Römerstraße. Etwas weiter hinten ist ein Tor; er hält an, steigt aus, wühlt im Unkraut zu beiden Seiten, bis er einen Schlüssel findet. Er schließt auf, öffnet die Torflügel, steigt wieder ins Auto, fährt ein paar Meter vor und parkt am Hang. Rechts ist eine große, weite Lichtung in dem Pinienwald, der die steile Welle des Hügels vor ihnen hinaufwächst; links steht auf halber Höhe ein asymmetrisches Steinhaus.
Sie steigt aus, schaut sich um: Die Sonne brennt unerbittlich, das Kreischen der Zikaden rundherum ist ohrenbetäubend.
Mit gesenktem Kopf geht er auf den nächstgelegenen Rand der Lichtung zu.
Sie folgt ihm bis zum Ufer eines Flüsschens, das hell und klar zwischen den grasbewachsenen Böschungen plätschert. »Schön hier!«, sagt sie, obwohl die Situation gefährlich auf sie wirkt, trotz des natürlichen Zaubers des Ortes.
Er dreht sich um, blickt sie an.
Sie deutet auf die Lichtung, das Haus, den Hügel. Die Stimmung von vorher, als sie über den provenzalischen Markt schlenderten, scheint plötzlich verflogen, hat erneut einer wachsenden Beklemmung Platz gemacht.
»Es war das Wasser, das mich hierher gezogen hat.« Er nimmt die Sonnenbrille ab, kniet am Ufer des Flüsschens nieder, benetzt Gesicht und Haare.
Auch sie nimmt die Sonnenbrille ab, taucht die Hände ins kühle Wasser, spritzt sich nass. Dann betrachtet sie das Steinhaus auf halber Höhe: »Hast du es schon lange?«
»Es gehört nicht mehr mir«, sagt er. »Es gehört jetzt meiner zweiten Exfrau.«
Stumm hocken sie am Ufer des Flüsschens, benommen vom Schlafmangel, von der Hitze und vom Rhythmus der Zikaden, vom Klang des fließenden Wassers. Dann erhebt er sich wortlos und geht auf das Haus zu.
Sie folgt ihm, fragt sich, ob sie ihn lieber allein lassen soll. Wieder ist sie verwirrt von seinem radikalen Stimmungsumschwung, vollkommen verstört. Am Rand der sonnenheißen Lichtung geht sie hinter ihm her über den schrägen Hügel und die Stufen zum Haus hinauf. Es ist etwas größer und ausgebauter als ihres in Ligurien, die Fensterläden sind provenzalisch blau gestrichen anstatt grün, aber der Stil ist so ähnlich, dass ein befremdliches Gefühl von Vertrautheit in ihr aufkommt.
»Als ich es gekauft habe, war es ein Schafstall.« Er kramt in zwei Töpfen mit Zitronenbäumen auf einer kleinen Terrasse, die von einer Pergola mit weißen Trauben überwuchert ist.
Seltsam, denkt sie, dass zwei Menschen verschiedener Herkunft, verschiedenen Charakters und Geschlechts einen so verwandten Geschmack und Geist haben können, jedenfalls, soweit sich aus ihren Häusern schließen lässt. Sie fragt sich, ob es sich um reinen Zufall oder um etwas Bedeutsameres mit unsichtbaren, aber vielleicht sehr weitreichenden und tiefgehenden Verästelungen handelt. Seit je neigt sie dazu, Zeichen zu lesen und zu deuten, ihre verborgenen Ursprünge aufzuspüren, sich ihre fernsten Auswirkungen auszumalen. Nur zu gut weiß sie, wie man sich dabei irren kann, aber sie kann einfach nicht anders, es ist stärker als sie.
»Ich habe es bloß etwas erweitert.« Er deutet nach oben, auf den letzten, zum Hang hin verschobenen Teil des Gebäudes. »Aber ich habe versucht, den Geist des Ortes nicht zu zerstören.«
»Das ist dir gelungen, glaube ich.« Ihre Haare, die sie mit dem Wasser des Flüsschens angefeuchtet hatte, sind in den wenigen Minuten schon getrocknet, wieder glüht ihr Kopf in der Sonne. Über die Steine der Terrasse huschen ein paar Eidechsen, eine Ameisenkolonne kriecht ein Mäuerchen entlang; die Zikaden setzen ihre akustische Belagerung fort, gnadenlos.
Endlich findet er in einem der Zitronentöpfe den Hausschlüssel und schließt die Tür auf. Mit größter Vorsicht tritt er ein, bewegt sich im Halbdunkel, als erwarte er jeden Augenblick ein Gewitter. Sie folgt ihm tastend, unsicher. Sie nimmt die Sonnenbrille ab, sagt: »Darf ich?«, achtet darauf, wohin sie den Fuß setzt. Warum ist
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