Sie und Er
Piniennadeln bedeckt; alle paar Dutzend Meter gibt es Weggabelungen, wo man eine Richtung wählen muss, fast ohne nachzudenken, ohne den Schritt zu verlangsamen. Obwohl sie für solche Wanderungen wenig geeignete Sandalen trägt, bleibt sie ihm auf den Fersen, sie ist keine, die sich vom Tempo oder von Entfernungen abschrecken lässt. An einem bestimmten Punkt schlägt er einen Weg ein, der sich noch mehr dem kleinen Fluss annähert und gegen die Strömung an ihm entlangführt, nach einiger Zeit den Hang hinauf abbiegt und oben auf dem Grat immer schmaler wird. Beide setzen die Füße auf den beschränkten Raum, stoßen sich mit Fersen und Waden ab, schauen ab und zu den Abhang zu ihrer Rechten hinunter auf die schrägen Felsen, zwischen denen ganz unten das Wasser fließt. Zügig schreiten sie voran, unter der Sonne, die ihnen erbarmungslos auf den Kopf brennt.
Sie kommen zu der Stelle, wo der Pfad abbricht und er, wenn er hier entlangritt, absteigen und das Pferd am Zügel hinter sich herziehen und dabei achtgeben musste, dass es nicht ausrutschte. Sie erhöhen das Tempo noch, in einer Art Wettstreit, bei dem man nicht weiß, ob er sie hinter sich herzieht oder sie ihn vorwärtsschiebt: Sie heben die Knie und strecken die Beine, atmen durch die Nase ein und durch den Mund aus. Sie laufen davon vor dem, was sie sich gesagt, und dem, was sie nicht gesagt haben, vor den Zweifeln und den Fragen, vor der Schwierigkeit und der Unentschlossenheit, vor dem, was sie gesucht, und dem, was sie gefunden haben, vor dem, was sie sich ausgemalt haben, und dem, was ist. Nach etwa einer Dreiviertelstunde strengen Marschierens geht der Weg bergab, zurück in die Ebene, und kommt an der Lichtung heraus, wo die zwei Bauernhäuser stehen, mit den Autos und den landwirtschaftlichen Maschinen und dem angeketteten alten Hund, der bellend aus dem Holzschuppen herausläuft. Er geht noch ein paar Meter weiter, dann dreht er um, nimmt die Markttüte in die andere Hand, stößt an Clares Schulter, drängt sich an ihr vorbei, um zurückzugehen. Sie holt ihn sofort ein, folgt ihm auf dem Fuß; keine Chance, sie abzuschütteln, sie kann mindestens so gut laufen wie er. Sie springen über kleine Buckel und Löcher, pumpen mit den Armen; ab und zu werfen sie einen Blick links hinunter, auf das Wasser, das in der glühenden Landschaft wie eine Fata Morgana zwischen den Felsen plätschert. Er könnte noch stundenlang ohne ein Wort weitermarschieren, denkt er, sie hinter sich herschleppen bis zum Pinienwald und dann durch das Labyrinth von Pfaden, bis zum Abend, bis es Nacht wird, bis sie zusammenbricht und ihn bittet, anzuhalten oder wenigstens langsamer zu gehen. Eine ganze Weile findet er diese Idee sehr verlockend, dann plötzlich erscheint sie ihm als das, was sie ist: unglaublich kindisch, gemein und dumm. Er bleibt stehen, sieht sie an. Auch sie sieht ihn an, eine Hand in die Seite gestützt, keuchend wie er.
»Müde?«, fragt er.
»Nein«, sagt sie. »Du?«
»Nein.« Weder sie noch er würde es je zugeben, selbst wenn sie völlig am Ende wären.
Sie sind beide rot im Gesicht, schweißnass, von den Haaren über die T-Shirts bis zu den Schuhen; beide fahren sich gleichzeitig mit dem Handrücken über die Stirn.
Sie steigen den Steilhang hinab, klammern sich an Sträucher, an Äste und Wurzeln, treten Erde und Steine los. Weiter unten rutschen sie dann über die Felsen bis dahin, wo diese ganz glattgeschliffen sind von dem Wasser des Flüsschens, das durch den Einschnitt fließt und eine Reihe klarer Gumpen bildet, in denen einige Fische herumhuschen. Er stellt die Markttüte im Schatten hinter einem Felsblock ab: Sie gleitet ihm aus den verschwitzten Fingern. Sie schauen sich um: kein Hinweis auf Menschen weit und breit.
Die Felsen spiegeln das unerträgliche Licht, der Bach murmelt gedämpft; es ist zu heiß, um zu reden, zu heiß, um zu atmen. Er zieht sich die Schuhe aus, indem er mit der Spitze gegen die Ferse drückt, reißt sich die feuchten Kleider herunter, nähert sich dem Wasser; ihm ist bewusst, wie primitiv er sich bewegt, weil er nackt ist und weil seine Fußsohlen brennen. Er springt: Das Wasser ist eisig, der Gegensatz zur heißen Luft draußen könnte nicht brutaler sein, seine Körpertemperatur sinkt schlagartig. Er schnappt nach Luft, denkt, dass er an dem Kälteschock auch gut sterben könnte, immer noch gefangen in diesem idiotischen Nicht-Kommunikations-Spiel. Bei der Vorstellung muss er laut schreien, schluckt
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