Sie und Er
räumliche, charakterlich bedingte Grenzen. Außerdem verworren, weil es häufig der andere ist, der uns findet und das dann gern auch noch als schicksalhaft versteht.«
»Das kann sehr überzeugend wirken.« Sie denkt an Albertos melodramatische Emphase, nachdem sie sich bei einem seiner Konzerte begegnet waren, wie er von Übereinstimmung der Gestirne gesprochen hatte; und an Stefanos Entschlossenheit, jetzt, da er seine wohlüberlegte Entscheidung getroffen hat.
»Eigentlich wissen wir ja gar nicht genau, was wir suchen«, sagt er. »Deshalb gestalten wir unsere Suche jedes Mal nach anderen Kriterien. Instinkt, Vernunft, Ähnlichkeiten, Gegensätze. Wenn wir im Osten gescheitert sind, wenden wir uns nach Westen.«
»Klingt nach einem kindlichen Mechanismus«, sagt sie.
»Genau«, sagt er. »Wie verstörte Kinder, die sich verlaufen haben.«
Sie schweigen; rundherum kratzen unermüdlich die Zikaden, zagzagzagzagzagzagzagzagzagzag.
»Hängst du sehr an diesem Ort hier?«, fragt sie. »Ich habe nie an irgendeinem Ort gehangen«, sagt er. »An dem hier schon.« Es ist so deutlich. »Ein bisschen«, gibt er zu.
Sie stellt sich den Ort an einem lauen, luftigen Frühlingstag vor, wenn alles besonders schön ist: die grüne Wiese, die Pferde auf der Weide, die blühenden Obstbäume, ein Hund, der fröhlich um die Lichtung schwänzelt. »Ist es deiner Meinung nach unvermeidlich?«
»Was?«, fragt er.
»Dass jede Beziehung früher oder später zu Ende geht?«, sagt sie.
»Es ist höchst wahrscheinlich«, sagt er. »Da ja das Leben selbst auch zu Ende geht, nicht wahr? Auch wenn du ab und zu denkst, dass es doch eine Ausnahme geben könnte, vielleicht gerade für dich und jemanden, den du besonders gern hast.«
Sie beißt sich auf die Lippen, unbequem am Rand des grünlichen Schwimmbeckens sitzend, in der sengenden Sonne. Sie möchte wieder zu der Stimmung von vorher zurückkehren, als sie über den provenzalischen Markt schlenderten, denkt sie; auch dieser Moment ist vorbei, zum Beweis dessen, was sie gesagt haben. »Dann meinst du also, es lohne sich gar nicht zu suchen? Weil das, was du findest, nie wirklich das ist, was du wolltest, und sowieso zu Ende geht?«
»Es kommt darauf an«, sagt er. »Manche Leute können einfach nicht aufhören, immer weiter zu suchen.«
»Kannst du es?«, sagt sie. »Nein«, erwidert er. »Und du?«
»Nein.« Sie kann nicht, denkt sie, und sie will auch nicht.
»Siehst du«, sagt er. »Aber sollte man durch einen absolut unwahrscheinlichen Zufall tatsächlich das finden, was man gesucht hat, darf man einfach nicht vergessen, dass es nicht für immer ist.«
»Wenn ich nicht glauben darf, dass es für immer ist, interessiert es mich nicht!« Plötzlich ist sie wütend.
Er sieht sie an, wirkt erschüttert: »Aber es gibt kein >für immer<.«
»Für mich schon!« Sie merkt, dass ihre Stimme zittert und ihre Wangen glühen.
Erst will er etwas erwidern, doch dann holt er tief Luft; sein Ausdruck ist schwer zu deuten, aber einen Moment lang scheinen seine Augen zu glänzen. Wieder möchte sie ihn am liebsten umarmen; das ist absurd, denkt sie, nach dem, was er gerade zu ihr gesagt hat, nach seinem Gerede in der vergangenen Nacht. Dennoch, ein Teil von ihr will den Worten keinen Glauben schenken, sondern vertraut auf die trübe, warme Strömung der namenlosen Tiefe. Sie fürchtet sich davor, aber dieser Teil ist da, pulsiert, es lässt sich nicht leugnen. Um ihm nicht nachzugeben, springt sie auf und geht mit langen Schritten auf das Tor zu.
Wortlos, ohne sich anzusehen, gehen sie durch den Pinienwald
Wortlos, ohne sich anzusehen, gehen sie durch den Pinienwald, er vorneweg mit der Tüte voller Lebensmittel, die sie auf dem Markt gekauft haben, sie direkt hinterher, so rasch, als würden sie vor etwas davonlaufen. Die unbarmherzige Sonne folgt ihnen über den hohen Kronen der Pinien, schleudert ihre glühenden Strahlen durch jede Lücke zwischen den Asten, trifft sie voll, sobald sie aus dem Schatten hinaustreten. Immer schneller folgen sie dem kleinen Fluss, der wenige Meter zu ihrer Rechten fließt und ab und zu glitzernd zwischen den Stämmen und Sträuchern blinkt.
Er kennt diese Pfade gut, er ist sie Hunderte von Malen gegangen oder geritten, allein oder mit seiner zweiten Exfrau, mit seinen Kindern, an Winter- und an Sommertagen wie heute, auf der Suche nach Schatten, Raum, Ideen, einfacher, intensiver Bewegung. Der Boden ist fest, mit rötlichem Staub und
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