Sie und Er
Wasser. Wütend strampelt er, taucht wieder auf, hustet, lacht, spritzt mit beiden Händen, plötzlich belustigt über die Situation. Er fuchtelt herum, ruft ihr zu: »Komm!«
Sie schaut ihn an, auf dem schrägen Felsen balancierend. Dann schleudert sie die Sandalen fort, zieht T-Shirt und Hose aus mit einer Natürlichkeit, in die sich Scham mischt, weil sie so im vollen Sonnenlicht steht; sie streift ihr Höschen ab und lässt es mit einer raschen Bewegung des Fußgelenks durch die Luft segeln. Ihre Proportionen scheinen noch ausgewogener zu sein, als er im Halbdunkel des Schlafzimmers erahnen konnte: weich, klar, zeitlos. Noch nie, scheint ihm, hat er einen Frauenkörper gesehen, der die gleiche Mischung aus Sanftheit und athletischer Biegsamkeit besaß: breite Schultern, hohe kleine Brüste, üppig gerundete Hüften, schwungvolle, lange Beine. Ihre Gestalt weist keine einzige geizige Magerkeit auf, keinerlei schlaffe Schwere; die Harmonie ihrer Proportionen ist so entwaffnend, dass ihm die Luft wegbleibt, dass er mit dem Kopf wieder untertaucht. Sie klettert langsam den Felsen hinunter, bleibt kurz am Rand der Gumpe stehen, springt mit einem kleinen Schrei kerzengerade hinein.
Die Gumpen sind nicht groß genug, um wirklich schwimmen zu können, doch einige Züge kann man machen, kreuz und quer. Beide bewegen hektisch Arme und Beine, um zum Grund hinabzutauchen und im durchsichtigen Wasser die hellen Felsplatten zu betrachten, die Risse darin, die von der Strömung fortgezogenen Kiesel, die davonhuschenden silbrigen Fischchen.
Irgendwann tauchen beide mit Kopf und Schultern wieder auf, Wasser rinnt über ihre Stirn, tropft von ihren Wimpern, und er nähert sich ihr, küsst sie auf die Lippen. Sie umarmen sich stürmisch, zwischen der eisigen Kälte und der Gluthitze, und ihre Füße rutschen auf den glatten Steinen. Dauernd verlieren sie das Gleichgewicht, fallen aufeinander, plantschen, lachen, versuchen, sich aufzurappeln, klammern sich aneinander, rutschen erneut, tauchen unter, schlucken Wasser, husten.
Dann plötzlich sind sie beide blaugefroren, im selben Augenblick: Zitternd und zähneklappernd sehen sie sich an. Sie schwimmt auf den Rand zu, um herauszuklettern, tastet an den Felsen nach einem Halt. Er kommt ihr zuvor, klammert sich an einen Spalt und springt heraus, reicht ihr die Hand, reißt sie nach oben, obwohl sie es eigentlich alleine schaffen will. Durch das Übermaß an Schwung von beiden Seiten verlieren sie das Gleichgewicht, stolpern, fallen auf den Felsen. Wieder lachen sie, haben Mühe, sich voneinander zu lösen, sehen sich in die Augen, zittern wegen der Berührung, wegen des Temperaturunterschieds. Jetzt ist alles überraschend einfach: als hätten beide ihre komplizierten Gedanken zusammen mit ihren schweißgetränkten Kleidern auf den glühenden Steinen abgelegt, um plötzlich frei und leicht zu sein, ganz den Empfindungen ihrer nackt dem Wasser, der Luft und der Sonne ausgesetzten Körper überlassen.
Sie steigen ein paar Meter die Felsplatten hinauf, strecken sich aus, machen sich ganz flach, nehmen mit der gesamten Hautoberfläche die Wärme auf, von der Stirn über die Wangen, den Hals, die Schultern, den Oberkörper, den Bauch, die Beine bis zu den Fußsohlen. Der poröse Stein zischt leise unter ihnen, saugt das Wasser auf, das noch an ihnen ist, und lässt es verdampfen. Mit nur einem Auge schauen sie sich aus nächster Nähe an, lächeln dabei ununterbrochen. Dann rutscht er zu ihr hin, als sie sich gerade auf ihn zubewegt: Sie küssen sich, zitternd, gierig, unkontrolliert, mit wachsender Heftigkeit. Er küsst ihre Lippen, die Augen, die Nase, die Wangenknochen und wieder die Lippen, den Hals, die Schultern, die Brustwarzen, rutscht nach unten, küsst ihren Bauchnabel, rutscht noch weiter, küsst ihren Venusberg. Sie spreizt leicht die Beine und lehnt sich nach hinten, atmet stärker. Mit der Zunge folgt er den Kurven und Linien an der Innenseite ihrer Schenkel, bald langsam, bald schneller, verloren in sehr klar umrissenen und gleich darauf konturlosen Empfindungen, Begehren, das sich erweitert und verengt, zwischen trocken und nass, süß und salzig. Beide im Gleichklang, so vollkommen und unvollkommen, wie zwei Menschen nur sein können, die Füße gegen den heißen Felsen gestemmt, die Zehen gespreizt, die Waden angespannt, alle anderen Muskeln sensibilisiert. Das Flüsschen plätschert weiter unten, in ihren Körpern braust es, irgendwann hat er das Gefühl, gar nicht
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