Sie und Er
viele andere Geräusche an ihr Ohr. Sie greift in die Tasche und drückt die Taste, um zu lesen. Stefano schreibt: Hier Mordshitze, aber mit dem Daikin von Aldo ist es wie auf dem Himalaja, müssen wir in der neuen Wohnung auch einbauen, Kuss.
Nur vage registriert sie den Sinn der Wörter, antwortet automatisch: Kuss, drückt auf »Absenden«, lässt das Handy wieder in die Tasche gleiten. Sie mag nicht daran denken, kein bisschen. Sie betrachtet die Leute, die an den anderen Tischen sitzen, atmet die Düfte in der Luft ein, lauscht der Musik, die von fern herüberweht.
Er kommt zurück, setzt sich lächelnd: »Na?« Das Licht der Kerzen auf dem Tisch spiegelt sich in seinen Augen: Sie leuchten warm, tief, vertraut.
»Na.« Sie hat tausend Gründe, aufgeregt zu sein, tausend.
»The Moletto girl.« Er sieht sie an. »The Rochester prodigy.«
Als sie ihn Englisch sprechen hört, zuckt sie innerlich zusammen: wieder die Schwankung zwischen nah und fern, vorübergehend und dauerhaft, einfach und kompliziert. Sie lacht: »Ich? Ich habe gar nichts Wunderbares an mir.«
»Ach nein?« Er fixiert sie weiter, als wollte er sich jeden Millimeter ihres Gesichts einprägen, jede winzige Veränderung ihres Ausdrucks.
Sie trinkt einen Schluck Wein, aber seine geballte Aufmerksamkeit ist viel berauschender. »Nein.« Sie möchte nirgends sonst sein, mit niemand sonst.
»Bilde ich mir alles bloß ein?«, sagt er. »Wie ein Dummkopf?«
»Vielleicht.« Sie lacht, wirft den Kopf in den Nacken. Sie möchte nur eins: dass diese Situation nicht aufhört, dass die Nacht sich über die Grenzen der Zeit und der vernünftigen Möglichkeiten hinweg ausdehnt.
Die Kellnerin bringt das Menü, das er bestellt hat; sie stellt alles auf den Tisch und lässt sie nach einem langen Blick wieder allein. Es sind leichte Gerichte: ein kleines, duftiges Tomatensouffle, garniert mit Basilikum und Kerbel, panierte und frittierte Salbeiblätter, Kartoffelkroketten und grüne Bohnen mit Käse, Feldsalat mit Apfelessig. Sie kosten in kleinen Bissen, mit äußerster Langsamkeit, nippen dazwischen ab und zu an ihrem Glas, sehen sich an, sprechen, ohne überlegen zu müssen. Die trostlosen Gespräche der vergangenen Nacht und die Traurigkeit, als sie auf der Lichtung waren, scheinen unendlich weit weg zu sein, Teile einer vergangenen Epoche; jetzt gibt es zwischen ihnen nur die berauschende Freude des stetigen Austauschs, die Neugier, die sich auf alles erstreckt und in jeden noch unerforschten Winkel vordringt. Ihr Atem, ihre Bewegungen, ihr Ausdruck entspringen dem süßen Bewusstsein des Hier und Jetzt, als wäre es für immer; nichts führt zu Reibungen oder kostet sie Mühe, nichts verlangt rationale Verhaltensweisen oder Gedanken. Er füllt ihr Glas, sobald er sieht, dass es fast leer ist, trinkt, aber nicht viel; anscheinend ist er fröhlich, neugierig, kommunikativ. »Weißt du, dass du ein außerordentlich exotisches Gesicht hast?«
»Wie, exotisch?«
Geistig und auch körperlich genießt sie den Blick, mit dem er sie weiterhin forschend anschaut.
»Du hast sooo lang geschnittene Augen«, sagt er. »Und diese schillernde Iris. Da ist alles drin.«
»Was denn?« Sie will es ihn sagen hören, sie kann einfach nicht anders.
»Frühlings- und Herbstwälder«, sagt er. »Meer, Himmel und Feuer.«
»Du hast Feuer in den Augen.« Sie sieht es lodern, geschürt von der männlichen Intensität seines Geistes, seines Körpers.
»Aber du hast verschiedene Arten von Feuer«, sagt er. »Ach ja?«, sagt sie gespannt.
»Ja«, sagt er. »Jedes mit seiner besonderen Farbe, je nach Augenblick.«
»Meinst du?« Ihr wird heiß, während sie von Feuer sprechen; ihre Haut glüht. Sie fühlt sich entflammt, strahlend.
»Außerdem hast du diese hohen Wangenknochen«, sagt er. »Diese vollkommene Stirn. Und was für ein Kinn!«
Sie lacht, wirft den Kopf zurück, nimmt noch einen Schluck Wein, isst noch ein Häppchen.
»Weißt du, dass du exotisch bist?«, fragt er noch mal, und seine Augen leuchten.
»Nein.« Sein Blick geht ihr durch und durch.
»Du bist es aber«, sagt er. »Und wie.« Er mustert sie unbeirrt, sammelt bedeutsame Details ihres Gesichts und ihrer ganzen Gestalt.
»Es wird die Mischung sein«, sagt sie. »Die halb ligurisehen, halb irländischen Wurzeln, wer weiß.« Sie atmet, ihr Herz schlägt schnell.
»Ja, aber nicht nur«, sagt er. »Es ist eine Mischung innerer und äußerer Eigenschaften. Es liegt an deinen Gesichtszügen, an deinem
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