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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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schmerzen, bis sein Herz dreimal so schnell schlägt, bis er mit den Händen auf den Knien in die Hocke gehen muss, um Atem zu schöpfen.
    Er holt das Handy vom Küchentisch, kontrolliert, ob es verpasste Nachrichten oder Anrufe anzeigt, aber nichts. Er stellt sich vor, wie Clare Moletto neben ihrem spießigen Mailänder Rechtsanwalt an einem großen Tisch mit Kollegen und Kolleginnen von ihm beim Abendessen sitzt, verwickelt in einen Austausch unverfänglicher Fragen, die einfache Antworten vorsehen. Froh um die wiedererrichteten Schutzschranken. Er kann sie sehen, wie sie auch dem nervigsten Gesprächspartner geduldig zuhört, wie sie trinkt, um die Langeweile und die Verlegenheit zu überwinden, während sie aus reiner Freundlichkeit ein aufmerksames Gesicht aufsetzt. Er kann ihren Blick sehen, ihr leuchtendes Lächeln, ihre ungekünstelten Bewegungen; ihre gebremste Unruhe, ihr verborgenes wildes Wesen. Wenn er seinen Gedanken nur ein wenig freien Lauf lässt, kann er sie auch schon in Stefanos Bett sehen, wie sie mit ihm zu Gesten und Empfindungen zurückfindet, die bestimmt beruhigender sind als die grenzenlose Verschmelzung, die sie beide in der vorigen Nacht erlebt haben. Die Vorstellung hebt sein inneres Gleichgewicht aus den Angeln, immer hektischer läuft er von einer Stelle der Wohnung zur anderen. Er müsste etwas tun, denkt er, weiß aber nicht, was: Er möchte laufen, herumfuchteln, schreien.
    Im Gehen schaut er auf das Display des Handys, denkt sich Sätze aus, verwirft sie. Schließlich schreibt er: Was zwischen uns gewesen ist, ist das Einzige, was mich interessiert. Vor dem Absenden liest er es noch einmal und findet, dass es bloß ein weiterer erbärmlicher Ausdruck für seine Egozentrik ist, dafür, dass alles unweigerlich von ihm ausgeht und zu ihm zurückkehrt. Er löscht und schreibt: Du bist die einzige interessante Sache auf der Welt. Er liest es durch, und das Wort »interessant« gefällt ihm nicht, »Sache« noch weniger; »auf der Welt« lässt ihn schaudern. Also löscht er, in dem verzweifelten Gefühl, die wenigen Worte nicht finden zu können, die er wirklich brauchte, obwohl er sein Leben damit verbracht hat, von Beruf Wörter aneinanderzureihen. Er legt das Handy auf den Tisch, geht in die Küche, ins Bad, ins Schlafzimmer, ins Kinderzimmer; dann zurück ins Wohnzimmer. In einer Verfassung von Verzweiflung und Panik schreibt er: Tatsache ist, dass ich dich liebe. Er liest es nicht durch, lässt sich keine Zeit zum Überlegen, drückt auf »Senden«. Gleich darauf scheint ihm, dass er damit eine total selbstzerstörerische Tat begangen hat, von der es kein Zurück gibt.
    Er lässt das Handy auf dem Wohnzimmertisch liegen und läuft wieder kreuz und quer durch die Wohnung, Bilder von Clare vor Augen: wie sie seine Nachricht liest und ein verstörtes Gesicht macht; wie sie sie sofort löscht und schutzsuchend ihren Rechtsanwalt umarmt; wie sie die sms gar nicht bemerkt, weil sie zu sehr in Anspruch genommen ist von dem Fest; wie sie mühsam eine Antwort tippt, um zu erklären, dass sie jedes Gefühl, das es zwischen ihnen gegeben haben mag, schon für immer ad acta gelegt und weggeschlossen hat.
    Zwar hat er diesbezüglich keine Erfahrung, weil er in seinem ganzen Leben keiner Frau je so einen Satz geschrieben oder gesagt hat, obwohl es mehr als einmal dringend von ihm gefordert wurde, doch geht er davon aus, dass es nicht die Sorte Nachricht ist, über die man in aller Ruhe bis zum nächsten Tag nachdenkt. Wäre sie in der gleichen Verfassung wie er, hätte sie bestimmt schon längst mit einem ebenso rückhaltlosen, vielleicht noch stürmischeren Satz geantwortet. Stattdessen liegt das Handy da in seinem verhassten Stand-by-Modus, und inzwischen sind schon ganze fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten vergangen, seit er diese selbstmörderische Geste vollbracht hat.
    Dann fängt das Handy an zu klingeln. Er stürzt aus dem Flur ins Wohnzimmer, nimmt es hastig vom Tisch, ohne einen Blick auf den Namen des Anrufers zu werfen, sagt gespannt: »Ja?«
    Am anderen Ende meldet sich keineswegs die melodische Stimme von Clare Moletto, sondern die trockene, eindeutig gereizte Stimme von Miriam Lovati: »Na endlich«, sagt sie, »seit drei Tagen versuche ich dich anzurufen.«
    Er drückt auf »Auflegen«, wirft das Handy aufs Sofa, läuft von Zimmer zu Zimmer, noch kopfloser als zuvor.
    Er schiebt mehrere CDs in die Stereoanlage, aber keine Musik ist ihm recht; er versucht es mit einigen

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