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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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ein Netzwerk von Informationen, parallelen Entwicklungen, gemeinsamen Programmen.
    So sehr sie sich auch um Anpassung bemüht hat, die anderen werden sie doch immer als Ausländerin wahrnehmen, bald amüsiert, bald leicht genervt, je nach Augenblick und Dringlichkeit der Kommunikation. Es ist das Schicksal all derer, die ihr Ursprungsland verlassen, denkt sie, die andere Seite des Privilegs, nicht zwangsläufig alles zu kennen, was dich umgibt.
    Marina Recardino nimmt sie am Arm und schubst sie zu Stefano, bevor sie reagieren kann. Es folgt allgemeines Gelächter, wachsende Aufregung.
    Zuletzt sagt Stefano: »Okay, okay, okay.« Er wedelt mit flachen Händen.
    Alle verstummen, jedenfalls fast; es gibt rasche Blickkontakte, geflüsterte Worte.
    »Also«, Stefano schaut sich um, »die Erklärung lautet, dass die hier anwesende Chiara Moletto und ich zusammenziehen.«
    »Wann?«, fragt eine Frau mit dem Gesicht einer Bulldogge und zum Knoten geschlungenen Haaren.
    »Spätestens Ende September.« Stefanos Antwort kommt so prompt, als würde er einem Team einen Arbeitsplan erläutern.
    »Ein Wunder!«, sagt Marina Recardino. »Mamma mia, wer hätte das gedacht!«
    »Wie hast du ihn bloß rumgekriegt?«, fragt sie ein dünner, großer rothaariger Kollege von Stefano.
    Sie antwortet nicht, würde ihm am liebsten einen Tritt geben.
    Lauretta klatscht in die Hände: »Ja, aber so einfach kommst du nicht davon, Ste!«
    »Genau, was soll das überhaupt sein?«, sagt Marina Recardino. »Eine Zusammenlebenserklärung?«
    »Moment, immer mit der Ruhe.« Im Vergleich zu vorhin scheint Stefanos Selbstkontrolle sich etwas gelockert zu haben.
    »Also?«, sagt Antonio Sontra mit geheucheltem Interesse. Seine Frau Susanna oder Rosanna, oder wie sie gleich noch mal heißt, schmiegt sich ebenso erwartungsvoll an ihn.
    Clare kommt die Situation zunehmend unwirklich vor: Sie begreift nicht, warum Stefano eine vollkommen private Entscheidung, die sie noch nicht einmal ausführlich besprochen haben und von der sie selbst keineswegs überzeugt ist, auf diese Weise hinausposaunen will.
    »Also?«, wiederholt Marina Recardino; im blanken Dunkel ihrer Augen kann man die Pupille nicht von der Iris unterscheiden.
    »Es ist Mitternacht, der Augenblick der Offenbarung!«, sagt Tommaso, an Laurettas Arm geklammert.
    »Genau!«, sagt Antonio Sontra. »Schluss mit Kneifen, Panbianco!«
    »Raus mit der Sprache, Panbianco!«, sagt Marina Recardino.
    Die anfeuernden Rufe werden lauter, Hände schieben und ziehen und knuffen Stefano mit der gleichen sadistisch angehauchten kollektiven Euphorie wie auf einem Examens- oder Geburtstagsfest, bis Stefano sich zu Clare umdreht und etwas aus der Tasche seines blauen Jacketts zieht. Und einen Augenblick später kniet er vor ihr, den rechten Arm ausgestreckt, ein blaues Schächtelchen auf der geöffneten Handfläche, in dem Schächtelchen ein Ring.
    Rund um sie wird es still: Alle Stimmen und Bewegungen halten inne, alle Blicke richten sich auf einen Punkt.
    Was Clare am meisten beeindruckt, ist die Ähnlichkeit mit Szenen aus Film oder Fernsehen, das absurde Fehlen jeder Originalität; sie weiß nicht recht, wie sie es interpretieren soll: ein Pennälerscherz Ende Juli? Ein Anfall von Wahnsinn, ausgelöst von der extremen Hitze? Doch je länger sie Stefano beobachtet, desto mehr wird ihr klar, dass er es schrecklich ernst meint: Man braucht nur die Anspannung in seinem Gesicht zu sehen, die verhüllte Rührung in seinem Blick, das leichte Zittern, das seinen Arm durchläuft bis zu der Hand, die das blaue Schächtelchen hält. Auch der Ring in dem mit weißem Satin ausgeschlagenen blauen Schächtelchen ist schrecklich ernst mit seinem Diamant und den Brillantsplittern darum herum, eine unbestreitbare Tatsache, der man sich nicht entziehen kann.
    Sie steht wie gelähmt im Kreis der erwartungsvollen Blicke, während eine Welle von Verlegenheit, Schuldgefühlen, Traurigkeit und Empörung in ihr aufsteigt. Dann beugt sie sich vor, fasst Stefano an der Schulter, sagt halblaut: »Komm, steh auf.«
    Doch Stefano rührt sich nicht und sieht sie weiter an; mit einem Ausdruck, der entweder sehr entschlossen oder sehr ratlos ist, verharrt er in seiner Pose einer romantischen amerikanischen Komödie, das Schächtelchen mit dem Ring schwankt leicht auf seiner ausgestreckten Hand.
    Fieberhaft überlegt sie, wie sie aus der Situation herauskommen könnte, ohne ihn tödlich zu beleidigen und seine Eigenliebe zu zerstören und ihn

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