Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
Vom Netzwerk:
Audi, das verbogene Nummernschild, die verbeulte Stoßstange. Hinter ihnen steht ein alter grüner Jaguar, niedrig und flach, mit zerquetschter Motorhaube, der Kühlergrill ist aus der Halterung gerissen, der rechte Scheinwerfer hängt nur noch an Drähten, das linke Fenster ist zersprungen. Stefano geht hin und schreit: »Wo zum Teufel hast du hingeschaut, dass du so auf mich draufgefahren bist?!«
    »Beruhige dich, Ste!«, ruft sie, denn das Letzte, was es jetzt noch braucht, denkt sie, ist eine Schlägerei unter Männern. Sie denkt auch, dass Stefano, wenn er schreit oder eine kriegerische Haltung einnimmt, auf kuriose Weise seiner Mutter ähnelt: Vielleicht hängt es mit dem leicht schrillen Ton zusammen, den seine Stimme dann bekommt, oder mit der Art, wie er mit Armen und Händen herumfuchtelt.
    Doch ihre Aufmerksamkeit ist ganz auf die Sprünge gerichtet, die wie ein Spinnennetz die Scheibe des grünen Jaguar überziehen. Es macht einen seltsamen Eindruck auf sie, selbst im Mittelpunkt eines Unfalls zu stehen, anstatt am Telefon davon zu hören. Sie ist befremdet von der Bruchstückhaftigkeit dessen, was soeben passiert ist; dass sie zu einer Entzerrung gezwungen ist, um aus der Überlagerung von Ereignissen eine Abfolge herzustellen. Die Szenerie rundherum ist trostlos: strömender Regen und Grau und Lärm und Blech und Asphalt und Zement und hässliche Gebäude, kein einziges Element, das dem Blick oder den Gedanken etwas Halt böte.
    Stefano dreht sich zu ihr um, schon völlig durchnässt; er sagt nichts mehr und keucht nur noch. Der Jaguarfahrer scheint zu keiner Reaktion fähig zu sein, soweit man erkennen kann: Er liegt schlaff im Fahrersitz, sicherlich verletzt, wenn nicht gar tot.
    »Wie geht es ihm?«, schreit sie, während der Regen ihr auf den Kopf prasselt.
    »Was?«, schreit Stefano zurück. Das Wasser hat ihm die Haare angeklatscht, es rinnt über seine Brille, er sieht aus wie ein Fremder.
    »Lebt er noch?«, schreit sie mit einer unbestimmten Handbewegung zum Inneren des Jaguar.
    »Natürlich lebt er noch!«, brüllt Stefano. »Ein Wunder, dass er uns nicht umgebracht hat, dieser Verbrecher! Ruf einen verdammten Krankenwagen!«
    »Stell das Warndreieck auf, sonst fahren sie auf uns drauf!« Sie bemüht sich, ihre Reaktionsfähigkeit wiederzuerlangen.
    Unwillig gehorcht Stefano, geht zu dem Audi zurück, holt die orangerote Warnweste mit den Leuchtstreifen heraus und schlüpft hinein, nimmt das Warndreieck und stellt es einige Meter hinter dem Jaguar auf den Asphalt. Er gestikuliert wie ein dilettantischer Verkehrspolizist, um die Autos auf die andere Spur zu lenken, die jedes Mal wieder vorpreschen, wenn die Ampel auf Grün schaltet.
    Sie berührt mit den Fingern den Türgriff des Jaguar, von einem Verantwortungsgefühl erfasst, dem sie fürchtet nicht entsprechen zu können. Ihre Kleider und Haare sind mittlerweile durchweicht vom Regen; bei jedem vorbeifahrenden Auto spritzen Fluten von Wasser auf, die ihren Rücken und ihre Beine noch nasser machen. Sie ärgert sich, dass sie, Stefano zuliebe und um sich seinen Freunden anzupassen, dieses feine dünne Kleidchen angezogen hat anstatt Jeans und T-Shirt, was ihr viel mehr behagt hätte. Sie holt tief Luft, öffnet die Autotür, schaut hinein.
    Im Wageninneren riecht es nach Leder, Alkohol und Orangenschalen, auf dem Boden liegen cds mit und ohne Hülle herum, ein MP3-Player, italienische und fremdsprachige Bücher und eine fast leere Wodkaflasche. Der Fahrer sitzt zurückgelehnt da und rührt sich nicht; ein Blutfaden läuft ihm über die Stirn und am linken Jochbein herunter und rötet den Kragen seines am Hals geöffneten weißen Hemdes.
    »Entschuldigung?«, sagte sie und tippt ihm auf die Schulter. »Hören Sie mich?«
    Der Typ antwortet nicht, schnellt aber plötzlich ruckartig nach vorn.
    »Hey!«, sagt sie, weicht vor Schreck zurück und stößt gegen den Türrahmen. Sie fasst sich mit der Hand an den Kopf, hin- und hergerissen zwischen Panik und Selbstbeherrschung, auf der Suche nach der angemessenen Reaktion.
    Der Verletzte schließt halb die Augen, er scheint sie nicht scharf zu sehen. Seine Haare sind zerrauft, hier und da von grauen Fäden durchzogen, er hat ein Gesicht, das ihr irgendwie bekannt vorkommt, und dunkle, stechende Augen.
    »Haben Sie getrunken?« Sie deutet auf die fast leere Wodkaflasche.
    »Ja, und?«, brummt der Verletzte, lässt sich im Sitz zurückfallen und schnellt gleich wieder nach vorn.
    »Ganz ruhig«, sagt

Weitere Kostenlose Bücher