Sie und Er
nimmt sein Mobiltelefon und klappt es mit zitternden Fingern auf.
»Rufst du den Krankenwagen?«, fragt sie.
»Ich rufe die Polizei und den Abschleppdienst«, sagt er. »Den Krankenwagen solltest du doch rufen.«
»Ich finde mein Handy nicht, aber dem Kerl geht es schlecht!«, schreit sie, verwundert über seinen Mangel an Mitgefühl. »Er hat eine Kopfwunde und ist voller Blut!«
»Wir rufen die Polizei und den Abschleppdienst und den Krankenwagen, ja?«, sagt Stefano, als hätte er es mit einer sehr irrationalen Frau zu tun und als wäre dies jetzt eine gute Gelegenheit, ihr etwas beizubringen.
»Ich glaube, es ist ernst!«, schreit sie. »Er bewegt sich so ruckartig und redet wirres Zeug!«
Der Regen verwandelt sich auf einmal in Hagel: Weiße, harte Körner kommen mit doppelter Wucht herunter, dröhnen auf dem Blech des Audi und der anderen Autos rundherum, zerplatzen auf dem Asphalt, so dass das Grau der Straße in wenigen Sekunden weiß wird.
»Ruf den verdammten Krankenwagen!«, schreit Stefano und wählt eine Nummer. »Ich rufe die Polizei und den Abschleppdienst, bevor uns noch weitere Autos drauffahren! Hallo, hallo, hallo, ja, hören Sie mich? Was? Hier ist Rechtsanwalt Panbianco, mir ist einer hintendrauf gefahren! Ja, von hinten, besofFen oder unter Drogen, das weiß ich nicht, er hat mir mein Auto ruiniert -«
Sie wühlt noch hektischer in ihrer Handtasche zwischen den Schlüsseln und den Papiertaschentüchern und der Minitaschenlampe und dem Schweizer Taschenmesser und dem Kosmetiktäschchen und dem Portemonnaie und den Tampons und der Lippenpomade und dem Lippenstift und den Augentropfen und den Kopfschmerztabletten und dem Taschenkalender und dem Notizbuch mit Gummiband und den Sesamschnitten mit Honig und dem Kaugummi und den zahllosen anderen Dingen, die sie normalerweise mitnimmt, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Zuletzt findet sie das Handy, wählt die Notrufnummer. Aber im selben Moment sieht sie, dass der Typ aus dem Jaguar ausgestiegen ist und sich im Hagel umschaut. »He da!«, schreit sie, schon draußen auf dem weißen Asphalt. »Setzen Sie sich wieder ins Auto!«
Der Typ ignoriert sie oder hört sie einfach nicht in dem Lärm, der immer lauter wird. Er dreht sich um, lehnt sich an den Jaguar, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Sie geht auf ihn zu, das Handy ans Ohr gepresst in dem nutzlosen Versuch, das Hämmern des Hagels und das Dröhnen der Motoren und das Knirschen der Reifen auf den zerplatzten Eiskörnern zu überhören. Als sie endlich die Stimme am anderen Ende der Leitung vernimmt, schreit sie: »Wir brauchen einen Krankenwagen nach der Ausfahrt vom Autobahnring an der Mailand-Genua, es gibt einen Verletzten!« Doch sie versteht weder die Antwort, noch kann sie einen Straßennamen oder eine Hausnummer erkennen, um genauer anzugeben, wo sie sich befinden.
Der Mann am Notruftelefon fragt sie gerade etwas von wegen Fahrtrichtung, da beugt der Typ aus dem Jaguar sich hinunter, um die Motorhaube zu betrachten, fällt beinahe um und geht in die Knie.
Sie stopft das Handy in die Handtasche, rennt hin, um ihn am Arm zu stützen, schreit: »Das können Sie nicht machen!«
Der Typ schaut sie mit einer absonderlichen Mischung aus Neugierde und Verwunderung an. Autos und Lastwagen und wieder Autos fahren im wütenden Hagel vorbei, eine Flut erschreckender mechanischer Gebilde, die nur gelegentlich von der Ampel aufgehalten wird.
»Kommen Sie mit!« Trotz seines anfänglichen Widerstands und seines beträchtlichen Gewichts gelingt es ihr, ihn mit vorsichtigen Schritten durch das ohrenbetäubende, blendende Verkehrschaos zu führen, während ihre Finger versuchen, an dem durchnässten Hemdstoff Halt zu finden, und nicht umhinkönnen, die Beschaffenheit der Muskeln darunter wahrzunehmen.
Plötzlich hört der Hagel auf, Stefano fährt im verbliebenen Nieselregen durch die Straßen der überschwemmten Stadt. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, durch die halboffene Heckklappe dringen Reifenlärm und Feuchtigkeit und Kälte herein. Sie sind alle drei so pitschnass, dass die Ausdünstungen den Innenraum erfüllen, die Scheiben und Stefanos Brille beschlagen, er nimmt sie ab und versucht sie mit dem Hemdsärmel zu trocknen, wischt mit dem Handrücken über die Windschutzscheibe, um draußen etwas zu erkennen.
Der Verletzte sitzt auf dem Beifahrersitz und schiebt ihre Hand weg, als sie versucht, seine Rückenlehne noch tiefer zu stellen.
»Sie müssen aber möglichst
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