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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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entnehme, leihe ich mir bloß. Ich bin ein gesunder Mensch, ich kann noch arbeiten. Das habe ich viele Jahre lang bewiesen, zur vollen Zufriedenheit der sowjetischen Bahnverwaltung. Sobald ich meine endgültigen Papiere habe, spucke ich wieder in die Hände. Und Tamara? Sie ist gelernte Friseuse. Für sie wird es leicht sein, eine Stellung zu bekommen. Heinz Wildeshagen begrüßte Lyra Pawlowna und Tamara mit einem Handkuß. Sie nahmen das innerlich erstarrt hin, denn Handküsse hatten sie bisher nur in Filmen gesehen, die die dekadente Zarenzeit schilderten. Dann stiegen sie in den Mercedes und wagten kaum, sich auf die feinen Polster zu setzen. Kuehenberg setzte sich vorn neben Wildeshagen und legte den Sicherheitsgurt an. Kaum hörbar sprang der Motor an.
    »Halt!« sagte Kuehenberg, als Wildeshagen losfuhr. »Wir können so einfach weg? Ohne Formalitäten?«
    »Es ist alles erledigt, Herr Kuehenberg.«
    »Ich möchte mich vom Lagerleiter verabschieden.«
    »Nicht nötig. Er ist beschäftigt, außerdem kennt er Sie gar nicht. Sie sind hier nur als Durchgang abgehakt …«
    »Ach so!« Kuehenberg lehnte sich zurück und lockerte, nach dem Beispiel Wildeshagens, auch seinen Schlips. »Von jetzt an kann ich also machen, was ich will?«
    »So kann man es sehen.«
    »Dann habe ich eine Bitte: Fahren Sie langsam über die Autobahn, halten Sie auf irgendeinem Rastplatz an, da, wo Menschen sind.«
    Wildeshagen sah ihn verblüfft an, nickte und fuhr los. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Autobahn nach Kassel. Wie versprochen zockelte der schwere Wagen auf der rechten Spur ziemlich langsam dahin. Autokolonnen überholten sie, Lastwagen, Tankzüge. Ein paarmal, wenn ein Kleinwagen an ihnen vorbeischnurrte, blickten die Insassen verwundert zu ihnen hinüber. Ein 350er Mercedes schleicht über die Autobahn. Was ist denn mit denen los?
    »Halt!« sagte Kuehenberg. Sie sahen von weitem das rechteckige blaue Schild mit dem großen, weißen P. »Können wir hier 'raus?«
    »Aber ja.«
    Wildeshagen fuhr auf den Rastplatz und bremste. Wald umgab sie. Vogelgezwitscher. Der Duft gemähten Grases. Um einige Steintische saßen Autofahrer und hatten ihren Reiseproviant ausgepackt. Ganze Familien, Kinderlachen. Ein Hund bellte. Etwas weiter zur Ausfahrt hin parkten vier Lastzüge. Die Fernfahrer saßen auf den Trittbrettern und tranken Kaffee aus Thermosflaschen.
    »Hier ist es gut«, sagte Kuehenberg und stieg aus. Ziemlich ratlos folgte ihm Wildeshagen. »Viele Menschen aller Klassen.« Er zog den Schlipsknoten bis auf die Brust herunter und öffnete die beiden oberen Hemdknöpfe. »Ich habe gelesen, daß die beliebtesten Politiker in der Bundesrepublik Schmidt, Kohl, Strauß und Scheel heißen. Und Ihr Finanzminister heißt Apel, nicht wahr?«
    »Er ist jetzt Verteidigungsminister.«
    »Aha. Noch besser!«
    Er ging auf die Tische zu, die Hände in den Hosentaschen, wie ein flegelhafter Junge sah er aus. Wildeshagen folgte ihm verwirrt. Er rätselte, was Kuehenberg wohl gleich aus sich herauslassen würde.
    Und es kam plötzlich und massiv. Und etwas ganz anderes, als Wildeshagen erwartet hatte.
    Kuehenberg nickte den essenden Autofahrern zu. »Schmeckt es euch?« fragte er so laut, daß es über den stillen Parkplatz schallte. Hohe Tannenhecken hielten den brummenden Lärm der Autobahn weitgehend ab.
    Die Rastenden nickten. Ihre Aufmerksamkeit wuchs. Der Alte hat einen hinterm Ohr, dachten sie. Zwei Flaschen Bier bei dieser Hitze, das spürt man. Vergnügt hob einer seine Kaffeetasse aus Plastik und prostete Kuehenberg zu.
    Und plötzlich sagte Kuehenberg sehr laut:
    »Bundeskanzler Schmidt ist ein Arschloch!«
    Stille. Kuehenberg wartete. Er starrte in die Gesichter, die sich jetzt alle ihm zugewandt hatten. Wildeshagen, hinter ihm, zerrte ihn am Rock. Er machte sich mit einem Ruck frei und trat mitten unter die Picknickgesellschaft. Ein paar Männer lächelten ihm zu, die Frauen begannen dumm zu kichern. Die Kinder starrten ihn an. Was wollte der fremde Onkel?
    »Kohl ist ein Kohlkopf!« sagte Kuehenberg noch lauter. »Ein geschossener Sommerkohl. Außen groß, innen hohl!«
    Keine Antwort. Die Frauen lachten jetzt ungehemmt, die Männer grinsten, als seien sie begeistert. Kuehenberg wurde es heiß unter seinem Haar. Er wischte sich über das Gesicht und merkte erst jetzt, daß es vom Schweiß naß war.
    »Strauß ist ein Großmaul!« schrie Kuehenberg in die feixenden Gesichter. »Und wer ist Apel? Apel? Ein Räuber, der in

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