Sie waren zehn
Wahrhaftig, da war er. Ein richtiger Samowar aus blankpoliertem Messing. Das kochende Wasser gluckste im Bauch, das Spiritusflämmchen zuckte im Kocher.
»Ich habe mir erlaubt, auch Gebäck mitzubringen, gnädige Frau«, sagte der Kellner höflich.
Steif auf ihren Sesseln sitzend, beobachteten Lyra und Tamara, wie er den Samowar auf den Tisch setzte, die Tassen dazu, die Gebäckschüssel zurechtrückte und einen großen Blumenstrauß danebenstellte. Mit einer Karte in Büttenpapier: Die Direktion begrüßt Sie und wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.
Erst als der Kellner das Zimmer verlassen hatte, rührte sich Tamara wieder.
»Wie im Kino«, sagte sie leise. »In einem Märchenfilm: Man wünscht sich etwas, und ein Zauberer erfüllt es.«
»Ich begreife das alles nicht.« Lyra Pawlowna erhob sich und ging vorsichtig zu dem Samowar. So schleicht man an einen Gegenstand heran, der explodieren könnte. »Warum tut man das? Wir sind doch keine Zaren!«
Am nächsten Morgen holte Wildeshagen gleich nach dem Frühstück Kuehenberg ab. Er brachte seine Frau mit, die sich um die Damen kümmern sollte. Auf dem Programm stand: Besuch des Kölner Domes, Einkaufsbummel durch die Hohe Straße, Breite Straße, Schildergasse. Eine Taxifahrt um den Kölner Ring. »Das ist ja ein Tagesprogramm! Hinterher werden sie von all den Eindrücken gelähmt sein! Was machen wir solange?« fragte Kuehenberg.
»Wir fahren nach Bonn.«
»Ohne die Damen? Warum?«
»Ich möchte Ihnen die Hardthöhe zeigen.«
»Was ist da Besonderes zu sehen?«
»Auf der Hardthöhe liegt das Verteidigungsministerium.«
»Ach so …« Kuehenberg blickte an Wildeshagen vorbei auf den Domplatz. Eine Schar von Tauben pickte die Körner und Brotkrumen, die Passanten ihnen hinwarfen. »Wenn ich aber lieber mit meiner Frau und meiner Tochter einkaufen gehen möchte?«
»Sie werden in Bonn erwartet, Herr Kuehenberg.«
»Ich bin ein freier Mensch, vergessen Sie das nicht!«
»Es war auch nur eine Bitte. Eine große Bitte.«
»Von wem?«
»Vom Führungsstab der Bundeswehr.«
»Wenn es sein muß!«
Kuehenberg seufzte ergeben. »Auch das geht vorüber. In Rußland lernt man eins, Wildeshagen: einen stillen Fatalismus. Wer ihn beherrscht, den kann nichts mehr erschüttern.« Während Frau Wildeshagen mit großem Einfühlungsvermögen Lyra Pawlowna und Tamara auf das vorbereitete, was sie erwartete, stiegen Wildeshagen und Kuehenberg wieder in den Mercedes. Sie kamen gar nicht nach Bonn hinein, bogen von der Köln - Bonner Autobahn seitlich ab und fuhren über breite Zufahrtstraßen den Hardtberg hinauf zu den Gebäudeflügeln des Bundesverteidigungsministeriums. Wildeshagen hatte seinen Ausweis an die Frontscheibe gedrückt. Sie passierten ohne Kontrolle drei Sperren und hielten schließlich in einer Art Innenhof. Kuehenberg blickte sich um.
»Sie haben es freundlich hier«, sagte er. »Hell, luftig, fast lustig. Die Bendlerstraße in Berlin wirkte viel düsterer. Wer da hineinkam, wußte sofort, daß er nichts mehr zu lachen hatte.« Er stieg aus und reckte sich. »Das war vielleicht der große Fehler von damals: Man lachte so selten.«
Wildeshagen blickte auf die Uhr. »Wir sind zehn Minuten zu spät.«
»Das hat sich also nicht geändert!« Kuehenberg lachte zufrieden. »Lieber Freund, ich habe viel Zeit. Wer mit mir sprechen will, darf nicht an der Uhr kleben. Wie sagen die sibirischen Jäger: Ein Bär läuft drei Tage – du mußt vier laufen können!« Es war wie immer: Lange Flure, Zimmer an Zimmer, herumrennende Dienstgrade aller Art, Stenotypistinnen, die Mappen trugen, im Treppenhaus rauchende Männer, Wortfetzen … Dann eine Tür ohne Namensschild, dafür der Hinweis: Anmeldung Zimmer 1.012.
Wildeshagen meldete sich nicht an. Er klopfte, drückte die Tür auf und nickte Kuehenberg zu. »Sie können eintreten.«
»Und Sie?«
»Ich bleibe draußen.«
»Wer ist da drin?«
»Ein Generalleutnant.«
»Und wenn ich nicht 'reingehe?«
»Niemand kann Sie zwingen.« Wildeshagen lächelte etwas gequält. »Sie sind ein freier Mensch.«
»Dann will ich!«
Kuehenberg trat ein und zuckte ein bißchen zusammen, weil Wildeshagen vom Flur aus die Tür wieder zuzog. Das Zimmer war groß und sonnig, ein Foto des Bundespräsidenten Scheel hing an der einen Wand; ihm gegenüber, das verblüffte ihn über alle Maßen, ein Bild von Admiral Canaris. Ein vergilbtes Bild in einem sichtbar alten Rahmen. Um einen runden Tisch waren Sessel gruppiert.
Weitere Kostenlose Bücher