Sie waren zehn
Heimweh – nicht, um nach vierunddreißig Jahren eine Idiotie wiederaufleben zu lassen, und sei's auch nur in einem Bericht. – Kann ich gehen?«
»Aber Herr Hauptmann! Jederzeit! Sie sind ein freier Mensch! Sie sind nicht mehr in Rußland.«
»Es melden sich nach unserem Gespräch bei mir Zweifel an, ob das ein Vorteil ist. Vergessen wir die Wildgänse.«
»Ich habe nur meinen Auftrag ausgeführt.« Wildeshagen erhob sich nun auch und packte die Akte in seinen schwarzen Diplomatenkoffer mit den Nummernschlössern. »Wie sind Ihre Pläne, Herr Kuehenberg?«
»Ich habe noch keine Pläne.«
»Sie haben als Übersiedlungsadresse Köln angegeben.«
»Irgendeinen Ort mußte ich ja nennen. Ich entschloß mich für Köln, weil ich damals einen guten Freund hatte, der aus Köln stammte. Er war der einzige Teilnehmer des Lehrgangs, der nicht General sagen konnte. Er sagte immer ›Jeneral‹.«
»Oberleutnant Willy Hecht aus Köln-Sülz.«
»Jetzt von mir ein Bravo! Bravo! Sie sind bestens informiert.« Kuehenberg ging zur Tür. »Ja, es war Willy Hecht. Wissen Sie etwa auch, ob er den Krieg überlebt hat?«
»Bedauere.« Heinz Wildeshagen hob die Schultern. »Wo werden Sie in Köln wohnen?«
»Welche Frage! Ich denke, ich bin ein freier Mann?«
»Es war eine fürsorgliche Frage, Herr Hauptmann …«
»Verdammt, ich bin Asgard Kuehenberg und weiter nichts. Der Hauptmann liegt seit 1944 irgendwo in Rußland.«
»In Moskau.«
»Sie haben die Eigenschaft einer Klette, Herr Wildeshagen! Aber echauffieren Sie sich nicht … ich will mit meinen zweiundsechzig Jahren endlich Ruhe haben und zufrieden in meiner Heimat leben. Sie wissen vielleicht eins nicht: Wir Ostdeutsche waren immer die glühendsten Patrioten! Wir haben nie den Rhein gesehen, aber wir haben ihn angebetet! Warum? Fragen Sie mich nicht … es gibt keine Antwort darauf. Es war einfach so! Wir waren vom Kernland Deutschland so weit weg – aber so groß die Entfernung, so groß unsere Liebe! – Jetzt bin ich hier – und jetzt möchte ich meine Ruhe haben! Verstehen Sie das?«
»Wie Sie es erklären … ja.« Wildeshagen holte aus seiner Brusttasche ein Kuvert hervor und reichte es Kuehenberg hin. Der zögerte zuzugreifen. »Für Sie.«
»Was ist das?«
»Keine Briefbombe und kein vergiftetes Papier. Auch kein Kuvert mit Bakterien. Ein Willkommensgruß der Vereinigung ehemaliger Offiziere.«
»Oje! Das macht mich nachdenklich …«
»Für Sie und Ihre Familie ein vierwöchiger freier Aufenthalt in dem Kölner Hotel ›Blum‹ und ein Scheckbuch über ein Girokonto, das zunächst 5.000, – DM beträgt.«
»Zunächst …«, sagte Kuehenberg gedehnt. »Kinder, was erwartet ihr bloß von mir!«
»Besitzen Sie flüssige Mittel?«
»Ja!« Kuehenberg grinste erfreut. »Eine Flasche Wodka!«
»Es ist wundervoll, daß Sie den Humor nicht verloren haben!«
»Warum auch? Wir haben mit unseren Nachbarn und Freunden immer viel Spaß gehabt. Es war ein lustiges Leben … zuerst in der kleinen Wohnung, dann in unserem Häuschen. Die Russen sind fröhliche Menschen. Singen und Tanzen, das kommt ihnen noch aus dem Herzen.« Kuehenberg öffnete die Tür. »Ich fahre also morgen nach Köln.«
»Wie Sie wollen, Herr Kuehenberg.«
»Und wo ist das Hotel ›Blum‹?«
»Direkt dem Dom gegenüber. Das erste Haus am Platze.«
»Wie schön!« Kuehenberg lachte aus voller Brust. »Wie wird man uns ansehen, wenn wir zwischen Marmor und getäfelten Wänden unseren Jutesack abstellen!«
»Sie sind angemeldet.« Wildeshagen kam um seinen Tisch herum. »Ihre Rückkehr wird mit aller Ehre und diskret behandelt.« Er machte vor Kuehenberg die Tür auf, als sei er ein Hotelboy. »Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie.«
»Ich habe nichts dagegen.« Er blickte Wildeshagen plötzlich bittend an. »Sie können mir helfen. Meine Frau und meine Tochter … für sie wird die Begegnung mit dem Westen wie ein Schock sein. Diese Welt des Überflusses …«
»Und Sie?«
»Auch für mich wird es schwer sein.« Kuehenberg legte seine Hand auf Wildeshagens Schulter. »Seien Sie unser Schwimmlehrer, wenn wir morgen ins heiße Wasser Deutschland springen!«
Die Fahrt nach Köln machten sie nicht mit dem Zug, so gern Tamara Kyrillowna mit den schönen neuen Waggons gefahren wäre, die sie hinter den langgestreckten, windschlüpfrigen elektrischen Lokomotiven gesehen hatte. Ein Luxus war das, überall so ein Luxus! Gewiß, auch die U-Bahn in Moskau war ein Wunderwerk. Sie
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