Sie waren zehn
seine Stimme lauter und fester: Ich bin Deutscher. Ich heiße Asgard Kuehenberg. Ich erbitte, nein, ich verlange meine Rückführung nach Deutschland! Ich habe Rußland gegenüber keine Schulden abzutragen. Im Gegenteil, ich bin ein halbes Menschenalter ein guter russischer Bürger gewesen. Ich habe Frau und Kind, ein Häuschen bei Moskau und bin Oberinspektor der sowjetischen Straßenbahn, Bezirk Moskau I. Das sind die Vorzeigebahnen, Genossen. Die Innenstadtbahnen. Die Propagandawaggons. Die, welche man den westlichen Touristen vorführt. Blitzsauber, neueste Modelle, die Schaffner in gepflegten, gut sitzenden Uniformen. Da hängen die Genossen nicht wie Trauben draußen auf dem Trittbrett, und kein Schaffner brüllt: »Hinweg, ihr Schiefmäuligen! Überfüllt! Überfüllt! Wer herunterfällt und unter die Räder kommt, hat kein Mitleid zu erwarten! Sabotage ist das! Springt ab, sag ich euch! Überfüllt!« Und dann ratterte sie los … ein Kloß Menschen mit knirschenden Rädern darunter. Nein! Nicht meine Bahnen vom Bezirk Moskau I! So ein guter Mensch war ich … über dreißig Jahre lang! Aber jetzt will ich wieder ein Deutscher sein!
»Was können sie dir tun, Papuschka?« fragte Lyra. Sie packte dabei den Koffer Nr. 1 wieder ein. Tamara trug bereits die anderen Gepäckstücke ins Freie vor die Baracke, darunter den dicken Jutesack, gefüllt mit Kissen aus besten, selbstgerupften Gänsedaunen. Ja, auch Gänse hatten sie in dem Gärtchen gehabt. Immer vier Stück. Seit siebzehn Jahren. Konnte man sich in Deutschland auch Gänse halten?
»Sie werden mir gar nichts tun, Lyranja«, sagte Kuehenberg und band sich eine Krawatte um, weil er gesehen hatte, daß auch Hauptmann Wildeshagen mit weißem Hemd und Schlips gekommen war. »Wir werden viel Besuch empfangen, das ist alles. Lauter höfliche Menschen. Und alle werden sie irgend etwas bieten: Eine gute Stellung, eine Tasche voll Geld, die Garantie eines geruhsamen, sorglosen Lebensabends. Irgendwann einmal wird durch die Mauer, die uns unsichtbar umgeben wird, etwas durchsickern, denn jede Mauer hat Löcher und Risse. Dann werden die Reporter der großen Zeitschriften und Zeitungen kommen, die Buchverleger, Film und Fernsehen, der Rundfunk … und sie werden uns noch mehr Geld auf den Tisch legen und sagen: ›Mein lieber Kuehenberg, machen Sie den Mund auf! Sie haben die moralische Pflicht, der Welt zu sagen, was Wildgänse war!‹«
»Und du wirst es sagen?«
»Nein.«
»Bei soviel Geld!«
»War ich je käuflich, Lyranja?«
»Waren wir jemals so arm wie heute, Kyrill?«
»Es ist nur eine Übergangszeit, glaub es mir.«
»Ich glaube dir alles, Ljubimij …«
»Du bist eine wunderbare Frau.«
Er küßte sie wieder. Tamara kam ins Zimmer gerannt und klatschte in die Hände, weil ihre Eltern für einen Augenblick die Welt vergessen hatten.
»Ein Auto ist da!« rief sie. »Bei Gott, welch ein Auto! Nur in Zeitungen habe ich solche Autos gesehen! Sollen wir damit fahren? Sieh dir das an, Väterchen!«
Kuehenberg trat ans Fenster. Wie erwartet: Es war der Dienst-Mercedes von Wildeshagen. Der schwarze Lack glänzte in der Sonne. Im Inneren dunkelgraue, dicke Polster aus geripptem Stoff. Nackenstützen hinten und vorn. Eine lange ausgezogene Antenne. Nicht nur Radio, dachte Kuehenberg, auch Sprechfunk oder Autotelefon. Wildeshagen selbst öffnete jetzt den Kofferraum und lud das Gepäck Kuehenbergs ein. Die Koffer aus Kunstleder, die zwei Kartons, den Jutesack. Er ließ den Kofferraumdeckel zuschnappen, wischte sich mit dem Handrücken über die schweißige Stirn und lockerte etwas den Knoten seiner Krawatte. Frühsommer. Extrem warm. Im Schatten 26 Grad. Es müßte mal wieder regnen. Vor allem an Rhein und Mosel. Hitze und Feuchtigkeit – das gibt einen vorzüglichen Wein.
Kuehenberg trat vom Fenster zurück ins Zimmer. Tamara hatte trotz ihrer achtundzwanzig Jahre glühende Wangen wie ein Kind, das etwas Unerhörtes erlebt hatte.
»Es stimmt, Tamarenka«, sagte er und zog seinen Rock wieder an. »Es ist ein Mercedes. Mit ihm fahren wir jetzt nach Köln. Ein paar Stunden Autobahn.«
»In die kleine Stadt Köln …«
»Du wirst dich wundern. Was du sehen wirst, wird dich erschlagen. Und mich wahrscheinlich auch.«
»Wir werden uns ein Kleid kaufen«, sagte Lyra Pawlowna.
Er dachte an das Scheckbuch und das Bankkonto über 5 000, – DM. Ich zahle es zurück, nahm er sich vor. Ich bin nicht zurückgekommen, um mir etwas schenken zu lassen. Was ich
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