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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Richtung. Kaltes Wasser spritzte ihm ins Gesicht. Ein Eiswürfel landete neben seinem linken Ohr und rutschte auf dem Kissen hinab und in die Mulde an seiner Schulter. In Gedanken
    (»So lebhaft!«)
    sah er, wie sie mit dem Krug auf sein Gesicht einschlug, sah sich an Schädelbasisbruch und Gehirnblutung inmitten einer kalten Flut von Eiswasser sterben, während sich Gänsehaut auf seinen Armen bildete.
    Sie wollte es tun; darin bestand kein Zweifel.
    Im allerletzten Augenblick jedoch riss sie den Krug von ihm weg und schleuderte ihn stattdessen zur Tür, wo er zerschellte wie zuvor die Suppenschüssel.

    Sie sah ihn wieder an und strich sich mit den Handrücken das Haar aus dem Gesicht - zwei harte kleine Flecken von Rot waren inzwischen in dem Weiß erblüht.
    »Schmutzfink!«, keuchte sie. »Oh, Sie elender Schmutzfink, wie konnten Sie nur!«
    Sie sprach hastig und gepresst, ihre funkelnden Augen waren starr auf ihn gerichtet - er war sich in diesem Augenblick ganz sicher, dass sein Leben davon abhing, was er in den nächsten zwanzig Sekunden sagte.
    »Annie, im Jahre 1871 kam es ständig vor, dass Frauen im Kindbett starben. Misery gab ihr Leben für ihren Mann und ihren besten Freund und ihr Kind. Der Geist von Misery wird immer …«
    »Ich will nicht ihren Geist! «, kreischte sie, formte die Finger zu Krallen und fuchtelte vor seinem Gesicht herum, als wollte sie ihm die Augen auskratzen. »Ich möchte sie! Sie haben sie umgebracht! Sie haben sie ermordet! « Sie ballte die Hände wieder zu Fäusten und stieß die Arme auf beiden Seiten seines Kopfes herunter wie zwei Kolben. Sie bohrten sich tief in die Kissen, und er hüpfte auf der Matratze wie eine Stoffpuppe. Seine Beine loderten, und er schrie auf.
    »Ich habe sie nicht umgebracht!«, schrie er.
    Sie erstarrte und betrachtete ihn mit diesem verkniffenen schwarzen Gesichtsausdruck - dem Ausdruck der Kluft .
    » Natürlich nicht«, sagte sie verbittert und sarkastisch. »Und wenn nicht Sie, Paul Sheldon, wer dann?«
    »Niemand«, sagte er leiser. »Sie ist einfach gestorben.«
    Letztlich, wusste er, entsprach das der Wahrheit. Wäre Misery Chastain eine reale Person gewesen, hätte er, darüber
war er sich im Klaren, durchaus aufgefordert werden können, »die Polizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen«, wie die Umschreibung lautete. Schließlich hatte er ein Motiv - er hatte sie gehasst. Seit dem dritten Buch hatte er sie gehasst. Vor vier Jahren hatte er zum ersten April privat eine schmale Broschüre binden lassen, die er an ein Dutzend enger Freunde verschickt hatte. Sie trug den Titel Miserys Hobby . Darin verbrachte Misery ein ausgelassenes Wochenende auf dem Lande, wo sie Growler, Ians geliebten Irish Setter, bumste.
    Er hätte sie ermorden können … aber er hatte es nicht getan. Letztlich war Miserys Tod, wenngleich er sie zunehmend verabscheute, eine Überraschung für ihn gewesen. Er war sich selbst bis zuletzt treu geblieben und hatte die Kunst das Leben nachahmen lassen, wie blass auch immer, bis Miserys triviale Abenteuer endeten. Sie war eines sehr unerwarteten Todes gestorben. Auch seine fröhlichen Kapriolen danach änderten nichts daran.
    »Sie lügen«, flüsterte Annie. »Ich dachte, Sie wären gütig , aber das sind Sie nicht . Sie sind nichts weiter als ein verlogener alter Schmutzfink.«
    »Sie ist entschlafen, das ist alles. Das passiert manchmal. Wie im wirklichen Leben, wenn jemand plötzlich …«
    Sie warf den Nachttisch neben dem Bett um. Die flache Schublade fiel heraus. Seine Armbanduhr und das Kleingeld, das er in der Tasche gehabt hatte, fielen mit heraus. Er hatte nicht einmal gewusst, dass beides sich darin befunden hatte. Er drängte sich noch weiter von ihr weg.
    »Sie müssen denken, ich bin von vorgestern «, sagte sie. Sie entblößte die Zähne. »Ich habe während meiner Arbeit Dutzende Menschen sterben sehen - Hunderte , wenn ich
genau darüber nachdenke. Manchmal gehen sie schreiend und manchmal gehen sie im Schlaf - sie entschlafen einfach, genau wie Sie gesagt haben.
    Aber Figuren in Büchern entschlafen NICHT einfach so! Gott holt uns zu sich, wenn er befindet, dass unsere Zeit gekommen ist, und für die Personen in seiner Geschichte ist der Schriftsteller Gott, er hat sie gemacht, so wie Gott uns gemacht hat, und niemand kann sich an Gott wenden und eine Erklärung verlangen, gut, okay, aber was Misery anbelangt, so will ich Ihnen eines sagen, Sie Schmutzfink, ich will Ihnen sagen, dass Gott gerade

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