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Titel: Sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Kopien davon existieren. Sie hätte eingesehen, dass es sinnlos ist, das Manuskript zu vernichten. Sie …
    Sein Atem, der allmählich langsam und schläfrig geworden war, blieb ihm plötzlich im Halse stecken, und er riss die Augen auf.
    Ja, sie hätte eingesehen, dass es sinnlos war. Sie hätte sich eingestehen müssen, dass es hier etwas gab, was sich ihrem Einfluss entzog. Ihr Ego hätte verletzt und keifend reagiert …
    Mein Temperament!
    Wenn sie unzweifelhaft mit der Tatsache konfrontiert gewesen wäre, dass sie sein ›schmutziges Buch‹ nicht vernichten konnte, hätte sie sich dann nicht vermutlich dafür entschieden, stattdessen den Verfasser des schmutzigen Buches zu vernichten? Schließlich existierte keine Kopie von Paul Sheldon.
    Sein Herz raste. Im Nebenzimmer begann die Uhr zu schlagen, und über sich hörte er ihre polternden Schritte. Das leise Rauschen, als sie urinierte. Die Toilettenspülung. Das schwere Stapfen ihrer Schritte, als sie wieder zu Bett ging. Das Ächzen von Bettfedern.
    Sie werden mich nie mehr so aufregen, nicht wahr?
    Sein Verstand versuchte plötzlich, in Galopp zu fallen, wie ein hochgezüchteter Traber, der aus der ihm aufgezwungenen Gangart auszubrechen versuchte. Was, wenn
überhaupt, bedeutete all diese Groschenroman-Psychoanalyse in Bezug auf sein Auto? Wenn es gefunden wurde? Was bedeutete das für ihn?
    »Moment mal«, flüsterte er in der Dunkelheit. »Moment mal, Moment mal, bleib dran. Langsam.«
    Er legte wieder den Arm über die Augen und beschwor wieder den Polizisten mit der dunklen Sonnenbrille und den zu langen Koteletten herauf. Unten am Humbuggy Mountain haben wir ein umgestürztes Auto gefunden, sagte der Polizist, und bla-bla-bla.
    Aber dieses Mal bittet Annie ihn nicht auf einen Kaffee herein. Dieses Mal fühlt sie sich erst wieder sicher, als er das Haus verlassen hat und schon ein gutes Stück die Straße hinabgefahren ist. Sogar in der Küche, sogar durch zwei geschlossene Türen zwischen ihnen und dem Gästezimmer, und obwohl der Gast bis unters Kinn mit Drogen vollgepumpt ist, könnte der Polizist ein Stöhnen hören.
    Wenn sein Auto gefunden wurde, dann würde Annie Wilkes wissen, dass sie in Schwierigkeiten war, nicht wahr?
    »Ja«, flüsterte Paul. Seine Beine begannen wieder zu schmerzen, aber im aufkeimenden Entsetzen seiner Erkenntnis bemerkte er es kaum.
    Sie würde keine Schwierigkeiten bekommen, weil sie ihn mit in ihr Haus genommen hatte, besonders dann nicht, wenn es näher lag als Sidewinder (was Paul vermutete); dafür würden sie ihr wahrscheinlich einen Orden und eine lebenslange Mitgliedschaft im Misery-Chastain-Fanklub verleihen (zu Pauls endlosem Verdruss gab es diesen tatsächlich). Das Problem war, sie hatte ihn in ihr Haus gebracht und im Gästezimmer einquartiert und niemandem etwas davon erzählt. Kein Anruf beim hiesigen Krankenhaus:
»Hier spricht Annie von der Humbuggy Mountain Road, und ich habe einen Burschen hier, der ein bisschen aussieht, als hätte King Kong ihn zum Trampolinspringen benutzt.« Das Problem war, sie hatte ihn mit Stoff vollgepumpt, zu dem sie ganz sicher keinen Zugriff haben durfte - jedenfalls nicht, wenn er auch nur halb so abhängig davon war, wie er vermutete. Das Problem war, sie hatte den Drogen eine seltsame Behandlung folgen lassen, hatte Infusionsnadeln in seine Arme gesteckt und seine Beine mit abgesägten Aluminiumkrücken geschient. Das Problem war, Annie Wilkes war oben in Denver im Zeugenstand gewesen … und ganz bestimmt nicht als Zeugin der Anklage, dachte Paul. Ich würde das Haus mit Grundstück darauf wetten.
    Sie sieht also dem Polizisten nach, der mit seinem spiegelblanken Streifenwagen die Straße hinabfährt (das heißt, spiegelblank bis auf die verkrusteten Brocken von Salz und Schnee, die in den Radkästen und unterhalb der Stoßstangen kleben), und sie fühlt sich wieder sicher … aber nicht allzu sicher, denn mittlerweile ist sie wie ein aufgeschrecktes Tier. Sehr, sehr aufgeschreckt.
    Die Polizei wird suchen, suchen, suchen, weil er eben nicht der gute alte Joe Blow aus Kokomo ist; er ist Paul Sheldon, der literarische Zeus, dessen Stirn Misery Chastain entsprungen ist, Liebling der Wühltische und Herzblatt der Supermärkte. Wenn sie ihn nicht finden, stellen sie vielleicht die Suche ein oder suchen anderswo, aber vielleicht hat einer der Roydmans sie in jener Nacht vorbeifahren sehen und etwas Seltsames auf der Rückbank von Old Bessie bemerkt, etwas in eine Steppdecke

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