Sie
Gewickeltes, etwas vage Menschenähnliches. Und selbst wenn
sie nichts gesehen hatten, sie würde es den Roydmans durchaus zutrauen, sich eine Geschichte auszudenken, um sie in Schwierigkeiten zu bringen; sie konnten sie nicht ausstehen.
Vielleicht würde die Polizei zurückkommen, und nächstes Mal war ihr Hausgast vielleicht nicht mehr so ruhig.
Er erinnerte sich daran, wie ihr Blick unruhig hin und her gehuscht war, als das Feuer im Grill dabei war, außer Kontrolle zu geraten. Er konnte sehen, wie sie sich mit der Zunge die Lippen leckte. Er konnte sehen, wie sie hin und her ging und dabei die Fäuste ballte und öffnete, wie sie alle paar Augenblicke in das Gästezimmer schaute, wo er weggetreten in seiner Wolke lag. Hin und wieder würde sie ›Meine Güte!‹ in die leeren Zimmer rufen.
Sie hatte einen seltenen Vogel mit wunderschönen Federn gestohlen - einen seltenen Vogel, der aus Afrika kam.
Und was würden sie tun, wenn sie es herausfanden?
Nun, selbstverständlich würden sie sie wieder in den Zeugenstand rufen. Sie wieder oben in Denver in den Zeugenstand rufen. Und dieses Mal kam sie vielleicht nicht mehr als freier Mensch davon.
Er nahm den Arm von den Augen. Er betrachtete die ineinander verschlungenen W, die trunken über die Decke torkelten. Er musste seine Augen nicht mit der Armbeuge bedecken, um den Rest zu sehen. Sie würde ihn vielleicht noch einen Tag oder eine Woche behalten. Es erforderte vielleicht noch einen Anruf oder einen Besuch der Polizei, bis sie beschloss, ihren rara avis , ihren seltenen Vogel, loszuwerden. Aber letztlich würde sie es tun, so wie wildernde Hunde anfangen, ihre Beute zu vergraben, wenn man sie lange genug gejagt hat.
Sie würde ihm fünf statt zwei Tabletten geben oder ihn vielleicht mit einem Kissen ersticken; vielleicht würde sie ihn einfach erschießen. Sicher bewahrte sie irgendwo ein Gewehr auf - fast jeder, der im Hochland lebte, hatte eines -, und das würde dem Problem ein Ende bereiten.
Nein - nicht mit einem Gewehr.
Zu dreckig.
Konnte Spuren hinterlassen.
Bisher war nichts davon geschehen, weil niemand das Auto gefunden hatte. Man suchte vielleicht in New York oder L.A. nach ihm, aber ganz bestimmt nicht in Sidewinder, Colorado.
Aber im Frühling.
Die W torkelten über die Decke. Warten. Wehtun. Weg.
Das Pochen in seinen Beinen wurde beharrlicher; wenn die Uhr das nächste Mal schlug, würde sie kommen, aber er hatte fast Angst davor, dass sie ihm seine Gedanken im Gesicht ablesen konnte wie die knappe Synopse einer Kurzgeschichte, die zu grausam ist, um niedergeschrieben zu werden. Sein Blick wanderte nach links. Dort hing ein Kalender an der Wand. Das Bild zeigte einen Jungen, der mit dem Schlitten einen Berg hinunterfuhr. Laut diesem Kalender war es Februar, aber wenn seine Berechnungen richtig waren, musste es bereits Anfang März sein. Annie Wilkes hatte einfach vergessen, die Seite umzublättern.
Wie lange würde es noch dauern, bis der schmelzende Schnee den Camaro freilegte, mit seinem New Yorker Nummernschild und dem Fahrzeugschein im Handschuhfach, die auf den Namen Paul Sheldon ausgestellt waren? Wie lange noch, bis der Polizist sie anrief oder sie es in der Zeitung las? Wie lange noch bis zum Tauwetter?
Sechs Wochen? Fünf?
So lange könnte ich noch zu leben haben, dachte Paul und begann zu zittern. Inzwischen waren seine Beine hellwach, erst als sie schließlich hereinkam und ihm eine weitere Dosis Medizin gab, konnte er einschlafen.
23
Am nächsten Abend brachte sie ihm die Royal. Es war eine Büroschreibmaschine aus einer Zeit, als solche Gegenstände wie elektrische Schreibmaschinen, Farbfernsehgeräte und Tonwahltelefone noch Science-Fiction waren. Sie war so schwarz und ordentlich wie ein Paar Schnürschuhe. In die Seiten waren Glasplatten eingelassen, die einen Blick auf die Federn, Schalter, Typen und Zahnräder der Maschine freigaben. An einer Seite ragte der mangels Benutzung stumpf gewordene stählerne Wagenrücklaufhebel wie der Daumen eines Anhalters nach vorn. Die Walze war staubig, die gummierte Oberfläche rau und zerschrammt. Die Buchstaben ROYAL standen in einem Halbkreis an der Front der Maschine. Sie stellte sie grunzend ans Fußende des Bettes, zwischen seine Beine, nachdem sie sie ihm einen Augenblick zur Ansicht hingehalten hatte.
Er starrte sie an.
Grinste sie etwa?
Gütiger Himmel, es sah tatsächlich so aus.
Wie auch immer, er spürte förmlich, wie sich Ärger anbahnte. Das Band war ein
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