Sieben
Eileen und Sparks wurden hoch in die Luft geschleudert und landeten außerhalb seines Gesichtsfeldes.
Doyle blieb einen Moment still liegen, bemüht, wieder klar im Kopf zu werden. Er war zwar nicht fähig, sich von den abgerissenen Griffen zu lösen - seine Finger waren an ihnen festgefroren -, aber er konnte alles andere bewegen, denn er war ohne irgendwelche schwerwiegenden Verletzungen in einer Schneewehe gelandet.
»Jack?« fragte er zaghaft. Das erste Geräusch, das er vernahm, hörte sich an wie ein Schluchzen. War es Eileen? »Sind Sie in Ordnung?«
Dann sah er, daß Eileen kicherte. Sie erhob sich, von Kopf bis Fuß in Weiß gehüllt, aus einer nicht weit entfernten Schneewehe und schüttelte sich in einem ansteckenden Gelächter. Dann ertönte das Lachen von Sparks, der, von dem gleichen erleichternden Impuls gefesselt, jetzt hinter dem Mausoleum hervortrat, das ihre Bruchlandung beschleunigt hatte. Ihr gegenseitiger Anblick und das Geräusch ihres Gelächters ließen sie nur noch lauter prusten. Jack mußte sich vor Lachen auf den Rand des Monuments aufstützen, Eileen fiel quietschend in den Schnee zurück. Das gerade überstandene Entsetzen war so vollständig überwältigend gewesen, daß es im Moment offenbar keine sensiblere Reaktion darauf gab. Als Doyle spürte, daß das Kichern auch ihn überkam, gab er ihm nach.
»Ich habe gedacht, ihr seid tot«, sagte er.
»Ich habe viermal gedacht, ich wäre tot«, sagte Eileen.
Doyles ganzer Körper fing an zu beben. Sie wankten aufeinander zu, legten sich die Arme um die Schultern und ließen der heilenden guten Laune ihren Lauf. Mehr konnten sie nicht tun, um zu Luft zu gelangen. Als das Gelächter verebbte, zeigte Doyle auf die immer noch an seinen Händen klebenden Griffe, und sie prusteten erneut los.
»
JONATHAN SPARKS!«
Die Worte donnerten von der über ihnen liegenden Ruine den Abhang hinunter. Die Stimme zischte schroff, doch gleichzeitig war sie auch kräftig und volltönend. Sie konnte Glas zerschneiden, ohne auch nur den geringsten Splitter zu hinterlassen. In ihrem Tonfall war keine Wut, nur verhaltener Hohn, der keine Enttäuschung über ihr Entkommen verriet, sondern eher die Befriedigung andeutete, daß dies das ersehnte Ergebnis war.
»Ist er das?« fragte Doyle.
Sparks nickte und schaute zum Hügel hinauf.
»HÖR
NUR ZU!«
Stille. Man hätte eine Nadel fallen hören können.
Dann ertönte ein grauenhafter Schrei, schwoll zu einem abscheulichen Crescendo an und verebbte zu einem erschöpften, bemitleidenswerten Wimmern.
»O Gott«, sagte Eileen. »Die Brüder.«
Ein weiterer Schrei, noch gequälter als der vorherige. War es die gleiche Stimme?
»Schweinehund!« entfuhr es Doyle, und er stürzte vor.
»SCHWEINEHUND!«
Sparks legte eine zügelnde Hand auf seine Schulter. Er hatte die Zähne fest zusammengebissen, doch seine Stimme blieb maßvoll und ruhig. »Das will er doch nur.«
Der Schrei brach abrupt ab. Die nachfolgende Stille war noch viel schlimmer.
»Wir müssen gehen«, sagte Sparks. »Sonst kommen sie vielleicht noch hinter uns her.«
»Sie können die beiden doch nicht allein ...«, protestierte Eileen.
»Sie sind Soldaten«, sagte Sparks und hob seine Schneeschuhe auf.
»Er bringt sie um ...«
»Wir wissen nicht, ob sie es sind. Und selbst wenn sie es wären ... Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun? Unser Leben wegwerfen? Sentimentaler Irrsinn.«
»Trotzdem, Jack, Sie sind Ihnen treu ergeben ...«, sagte Doyle in dem Versuch, den Streit zu schlichten.
»Sie kannten die Risiken.« Sparks wollte keine weitere Diskussion. Er ging fort.
»Sie haben das Blut Ihres Bruders in sich, Jack Sparks« sagte Eileen, seinem Rücken zugewandt.
Sparks blieb stehen, spannte seine Muskeln an, doch er drehte sich nicht um. Dann ging er weiter.
Eileen wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Er hat recht«, sagte Doyle. »Das müssen Sie doch einsehen.«
»Ich aber auch«, sagte sie und beobachtete Sparks beim Weitergehen.
Sie schlüpften in ihre Schneeschuhe und schleppten sich hinter ihm her vom Friedhof fort. Den Rückweg zur Herberge verbrachten sie schweigsam.
An Stokers Zimmertür war ein Zettel befestigt. Sparks riß ihn ab und überflog ihn.
»Stoker hat sich eine Kutsche gemietet und ist nach London zurück«, sagte er zu den anderen. »Er sagt, er muß an seine Familie denken.«
»Ich kann es ihm nicht verübeln«, sagte Doyle.
»Er stellt uns die Benutzung seines Zimmers anheim.« Sparks steckte den
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