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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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keineswegs so aus wie der Mann, dem er vor der Cheshire Street 13 begegnet war, und doch wußte Doyle sofort, daß die beiden ein und dieselbe Person waren. Alexanders Haut lag straff an den Knochen an; sie glänzte und war pergamentweiß, als hätte eine unbändige innere Hitze alle Vertiefungen und jegliche Labsal - alles außer dem Notwendigen - fortgebrannt. Seine Augen waren hell und lagen ebenmäßig unter dunklen Brauen, seine langen, schwarzen Wimpern waren von überraschender Zartheit. Dichtes braunes Haar hing bis auf seine Schultern hinab, aus der hohen, glatten Stirn zurückgekämmt, die unter den Falten seines Umhangs zum Vorschein kam. Nur sein Mund verriet die geometrische Härte der Anordnung; seine Lippen waren voll, rosenrot und feucht.
    Wenn er sprach, zuckte hinter den kleinen, gepflegten Reihen seiner Zähne eine sich schlängelnde Zunge hervor - die einzige sichtbare Konzession an seinen unersättlichen Appetit, der sein Inneres so hell erleuchtete wie eine Kerze das Innere eines Kürbisses. Seine Anwesenheit auf dem Hof erzeugte ein Gefühl von Magnetismus und Paralyse, aber irgendwie auch von Schwerelosigkeit; er schien den Raum weniger einzunehmen, als in ihm zu schweben. Doyle fühlte sich daran erinnert, welch große Kraft der absolute Stillstand erzeugte.
    »Gefällt Ihnen diese Zeit der Nacht auch so sehr, Doktor?« Alexanders Stimme wurde von einer trügerischen Schwingung übermittelt, die sich in Zwillingsmodulationen spaltete. An der Oberfläche seines gänzlich aus dem Bauch kommenden sonoren Baritons schwang ein zweiter Ton mit, ein Summen oder Klingeln, das unterhalb der wahrnehmbaren Schwelle lag und sich heimtückisch wie ein Dieb in das Ohr des Zuhörers schlich.
    »Nicht besonders.«
    Doyle ließ die Hände sinken und berührte leicht seine Taschen.
    »Ich glaube, Sie haben Ihr Schießeisen im Zimmer gelassen«, sagte Alexander. »Bei Miß Temple.« Er lächelte auf eine Weise, die man eigentlich als freundlich beschreiben konnte.
    Doyle spannte seine Hände. Das Adrenalin, das in seinen Blutkreislauf gepumpt wurde, erhöhte seinen Herzschlag rapide. Er fühlte sich wie unter einem Mikroskop und bemühte sich, seine Beunruhigung hinter einem Pokergesicht zu verbergen. In dem Bewußtsein, daß sein Gegenüber über ungeheuer starke hypnotische Fähigkeiten verfügte, blinzelte er und wich Alexanders Blick für eine lange Zeitspanne aus.
    »Ich muß gestehen, daß es recht eigenartig ist, Ihnen auf diese Weise zu begegnen, Dr. Doyle«, sagte Alexander, nicht ohne einen Anflug von Charme. »Ich habe den Eindruck, daß wir uns schon lange kennen. Sind Sie nicht auch dieser Meinung?«
    »Wir sind uns schon einmal begegnet.«
    »Wenn auch unwissentlich.« Alexander nickte leicht; es war die erste Bewegung, die er machte.
    Doyle warf einen beiläufigen Blick über den Hof. Sein einziger Fluchtweg war die hinter ihm liegende offene Tür. Doch wenn er die Treppe erklomm, würde er ihm für die Dauer dieser Aktion den Rücken darbieten.
    »Was wollen Sie?« fragte er.
    »Ich fand, es ist für uns an der Zeit, daß wir uns etwas genauer kennenlernen. Ich fürchte, Doktor, daß mein jüngerer Bruder John Ihnen möglicherweise hinsichtlich meiner Person einige schlimme und perfide Fehlwahrnehmungen vermittelt hat.«
    Ich will es gar nicht hören, dachte Doyle instinktiv. Ich brauche ihm nicht zuzuhören. Er reagierte weder mit Worten noch mit Gesten auf Alexanders Worte.
    »Ich dachte, es wäre von entschiedenem Wert, wenn wir uns bemühen, einander kennenzulernen. Es könnte vielleicht als verspätetes Korrektiv auf die allerschlimmsten Fantastereien Johns wirken.«
    »Habe ich denn eine Wahl?«
    »Man hat immer eine Wahl, Doktor«, sagte Alexander mit einem strahlenden Lächeln, das Doyle an langsam auf dunkles, poliertes Holz tropfende Säure erinnerte.
    Doyle hielt sein Schweigen so lange wie möglich aufrecht. »Vielleicht sollte ich meinen Mantel holen. Mir ist sehr kalt.«
    »Sicher.«
    Doyle wartete. Alexander machte keine Bewegung.
    »Nun?« fragte Doyle.
    »Wenn Sie sich zu Tode frieren, werden wir nicht weit kommen.«
    »Er ist in meinem Zimmer.«
    »Wo sollte er auch sonst sein?«
    »Dann hole ich ihn also jetzt.«
    »Ich werde auf Sie warten«, sagte Alexander.
    Doyle nickte und eilte ins Haus zurück. Alexander beobachtete ihn, ohne sich zu rühren. Doyle drehte sich um, dann ging er durch die Gaststube und die Treppe hinauf.
    Was hat er vor? fragte er sich. Wie überlegen

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