Sieben
völlig vergessen.«
Der Lärm des Türeinschlagens und die erschreckten Schreie der anderen Bewohner der Etage kam näher.
»Ich schlage vor, Sie beeilen sich, alter Knabe«, sagte der Mann gelassen, trat die Sandalen von seinen Füßen und schlüpfte in weiche Lederstiefel. »Wir müssen übers Dach.«
Doyle durchwühlte seine Reisetasche nach Munition, dann hörte er ein Knarren und schaute hoch. Einer der Vermummten öffnete das Fenster über dem Bett. Doyle griff nach dem erstbesten festen Gegenstand, der ihm in die Hände fiel, zielte damit auf die Kreatur und traf sie so heftig im Gesicht, daß sie vom Fenster zurückfiel. Man vernahm das Scheppern von Dachziegeln, und dann, unten, einen heftigen Aufschlag.
Der Fremde hob den Wurfgegenstand auf, der vor dem Fenster lag.
»Die gute alte Blavatsky«, sagte er mit einem kurzen, ehrfürchtigen Blick und gab Doyle das Exemplar
der Psychischen Selbstverteidigung
zurück. »Also dann los.«
Der falsche Sacker schob seinen zuvor getragenen Schleier in die Tasche und stieg durchs Fenster. Doyle hatte seine Pistole fertig geladen; er wuchtete seine Reisetasche ins Freie, nahm die dargebotene Hand des anderen und gesellte sich zu ihm aufs Dach.
»Sie werden mir eine Menge zu erklären haben«, sagte Doyle zu ihm.
»Recht haben Sie, Doyle«, erwiderte der Mann. »Was halten Sie davon, wenn wir zuerst eine gewisse Entfernung zwischen uns und unsere blutleeren Freunde bringen? Einverstanden?« Doyle nickte. Der Mann bewegte sich voran, schritt breitbeinig über das Dach. Doyle folgte ihm dicht auf, jeder Schritt auf den regennassen Dachziegeln war gefährlich. Um sie herum tobte das Unwetter. »Wie soll ich Sie nennen?« fragte Doyle. »Wie bitte? Hier draußen hört man so gut wie nichts.«
»Ich habe gefragt, wie Sie heißen.«
»Nennen Sie mich Jack.«
Sie kamen ans Ende des Daches. Die etwa sieben Meter unter ihnen liegende Straße war leer. Jack schob zwei Finger in den Mund und pfiff gerade so laut, daß er den Wind übertönte.
»Also wirklich, Jack ...«
»Ja, Doyle?«
»Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, zu pfeifen.«
»Ist es aber.«
»Ich meine, daß das Gehör dieser Kerle meiner Einschätzung nach unheimlich gut ist...«
»›Gut‹ scheint mir leicht untertrieben.« Sie warteten. Jack zog den Schleier aus seiner Tasche und entfaltete ihn. Doyle stellte fest, daß er fast drei Meter lang und an beiden Enden beschwert war. Er hörte hinter sich eine Bewegung. Schon wieder einer dieser Vermummten; er eilte über die Dachspitze zu ihnen herab.
»Würden Sie es bitte übernehmen, ihn zu erschießen?« bat Jack.
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Doyle, indem er die Pistole hob und den Angreifer ins Ziel nahm, »warte ich lieber, bis er etwas näher heran ist.«
»Ich würde nicht zu lange warten.«
»Falls Sie es gern tun möchten ich hätte nichts dagegen...«
»Nein, nein ...«
»Könnte doch sein, daß Sie glauben, Sie könnten es besser ...«
»Ich vertraue Ihnen voll und ganz, alter Knabe ...«
Der Vermummte war nun nur noch drei Meter von ihnen entfernt. Doyle feuerte. Die Kreatur wich der Kugel unheimlicherweise aus und kam langsam näher.
»Seien Sie nicht zu kritisch mit sich«, sagte Jack, der nun anfing, den Schleier in einem engen Kreis über seinen Kopf zu wirbeln. »Aber es ist halt so, daß sie viel schneller sind, als sie gemeinhin wirken. Es ist besser, sie mit einer Salve einzudecken und darauf zu hoffen, daß eine der Kugeln trifft.«
Doyle feuerte erneut. Die Kreatur wich nach links aus. Die Kugel durchschlug ihre Schulter. Sie taumelte, richtete sich auf und ging weiter. Doyle wischte sich den Regen aus den Augen und zielte erneut.
»Diese Dinger«, sagte er, »leben doch nicht richtig, oder? Ich meine, im traditionellen Sinn.«
»So ungefähr«, sagte Jack und ließ den Schleier fliegen. Er pfiff durch die Luft und erwischte das Geschöpf an der Kehle. Die beiden beschwerten Enden wickelten sich um seinen Hals und nahmen Tempo auf, bis sie den Schädel mit einem Geräusch einschlugen, das sich anhörte wie ein Wagenrad, das eine Melone zerquetscht.
»Jetzt, Doyle!«
Doyle feuerte aus nächster Nähe in das Gesicht des Vermummten. Das Ding fiel, rutschte an den Dachziegeln abwärts und stürzte in die Tiefe.
»Verdammt«, sagte Jack.
»Ich dachte, es wäre ganz gutgegangen.«
»Ich wollte den Schleier dazu verwenden, uns vom Dach herunterzubringen.«
»Es ist wohl ein Mehrzweckschleier
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