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Sieben

Sieben

Titel: Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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die Handbremse lösen, den Antriebshebel umlegen und den Motor in den Vorwärtsgang schalten.
    »Dann mach mal, Barry«, sagte Sparks, als sei das Zurückgreifen auf seine eigenen reichhaltigen und vertrauten Kenntnisse über die Eisenbahn die ermüdendste Aufgabe, die er sich vorstellen konnte.
    »Klar«, meinte Barry mit einem verstohlenen Lächeln und schaltete die Buglampe ein. Ihr zyklopenhafter Strahl durchdrang die Dunkelheit wie das Licht der Weisheit. Doyle und Sparks standen auf der offenen Plattform am Ende der Lok und warfen hin und wieder furchtsame Blicke in Richtung Treppe. Zwar waren bis jetzt noch keine Geräusche eines Angriffs auf die Tür an ihre Ohren gedrungen, aber das Warten fiel ihnen dennoch schwer. In der Gruft schien die Zeit stillzustehen. Das rhythmische Zischen der Dampfventile echote in der Kammer wie der Atem eines riesigen, schlummernden Ungeheuers. Das Gewicht der Grottenwände erweckte in ihnen den Eindruck, als hielten sie sich im Bauch eines monströsen, wachsamen Drachen auf, der geduldig darauf wartete, daß jedes menschliche Bestreben und jede Ambition - egal wie groß und eigensinnig - bei der Verschleißprobe durchfiel. Die Geschichte des großen Landhauses auf den Felsen über ihnen, ein dreihundertjähriges historisches Spektakel fortwährender menschlicher Historie -Liebe, Geburt, Ränke, Ehe, Sieg, Umschwang, Tod, Intrige, Verrat, Wahnsinn, Melodram, alles zu Staub zermahlen - machte in der Lebensspanne dieses Leviathans kaum mehr als einen Atemzug aus. Herrscher und Königreiche würden untergehen, doch diese Wände würden überdauern, selbstgenügsam und leise spottend. Es gibt nur wenige Dinge, dachte Doyle, die man routinierter und müheloser einschätzt als die menschliche Existenz, vor allem dann nicht, wenn man sich ihrer gerade erfreut. Eine Stunde in den Eingeweiden dieser kalten Urhöhle war eine barsche Erinnerung daran, daß selbst der Natur dieses herzlose Desinteresse zu eigen war.
    Barry drückte den Hebel herunter. Die Kolben ruckten zweimal, dann krachte Stahl auf Stahl. Durch Reibung erzeugte Funken sprühten in die Luft. Mit dem protestierenden Kreischen und Ächzen von rostigen Muskeln bewegten sich die Räder auf dem Gleis zentimeterweise voran.
    »Wir fahren!« schrie Barry, um die Maschine zu übertönen. Er steckte den Kopf aus dem Seitenfenster, und sie rollten in den Tunnel hinein, wobei er sich beherrschen mußte, um nicht aus schierem Übermut die Dampfpfeife zu betätigen.
    »Wohin wir wohl fahren?« fragte Doyle, der vor Erleichterung fast zusammensackte.
    »Nach London, wenn der Brennstoff reicht und das Gleis nicht vorher endet«, sagte Sparks und tätschelte die Wände der Lok wie ein gerissener Pferdehändler. »Ich wollte schon immer einen eigenen Zug haben. Dieser kleine Charmeur kommt genau zur rechten Zeit.«
    Am anderen Ende wurde die Grotte neben dem Gleis enger, und Barry mußte seinen Kopf in die Lok einziehen, als sie langsam in einen schmalen Tunnel fuhren, der durch die Erde verlief. Die Wände kamen immer näher, bis sie nur noch wenige Zentimeter von ihnen entfernt waren.
    »Glauben Sie, daß sie ihn umbringen werden, Jack?« fragte Doyle ernüchtert. Er vermochte den irren Nicholson und seinen Diener noch immer nicht aus seinem Geist zu vertreiben.
    Sparks wurde ernst. »Ja, ich nehme es an. Ich kann mir sogar vorstellen, daß sie es schon getan haben.«
    »Nicholson hat etwas, das sie haben wollen«, sagte Doyle kurz darauf.
    »Zwei Dinge: sein Land und seinen Sohn. Und beides befindet sich schon seit mehreren Monaten in ihrem Besitz.«
    »Das Land könnte allen möglichen Zwecken dienen ...«
    »Einverstanden. Doch es ist noch zu früh für Spekulationen. Wir brauchen mehr Informationen.«
    »Aber warum den Jungen?«
    Sparks dachte kurz nach. »Kontrolle. Er dient dazu, seine Mutter zu beherrschen.«
    »Aber es ist doch wohl klar, daß sie schon die ganze Zeit über zu ihnen gehörte, oder?« sagte Doyle, auch wenn es ihn schmerzte, an die arme Frau zu denken.
    »Es ist möglich wenn wir auch nicht wissen, welche Art Druck man auf sie ausübte. Beziehungsweise ob und wozu der Junge ihnen genau hätte dienlich sein können.«
    »In der Nacht, in der sie umkam, schien dies der Fall zu sein.«
    »Man darf auch nicht ausschließen, daß die Seance, ob sie nun vorgetäuscht oder echt war, und Lady Nicholsons Kummer über die ›Entführung‹ des Kindes, geschickt dazu ausgenutzt wurden, um Sie, Doyle, in eine Falle zu

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