Sieben
beweisen, daß es stimmte: Es konnte durchaus mehr als eine Art von Übermensch geben. Der ins Auge springende Punkt, an dem ich meinen Kompaß ausrichtete, unterlag ganz allein meiner Wahl. Die Gerechtigkeit sollte mein Polarstern sein, nicht die Verlogenheit und irreführende Selbstvergötterung. Ich wollte für das Leben eintreten, nicht dagegen. Wenn es schon mein Schicksal war, sein Blut zu teilen, dann war es auch meine Verpflichtung, die Waagschale im Gleichgewicht zu halten, die seine Gegenwart hier störte. Ich wollte dieser Welt eine Macht geben, die der Dunkelheit entgegentrat, der mein Bruder erlegen war. Ich wollte den Namen meiner Familie säubern oder bei diesem Versuch sterben. Das war meine Mission. Mich ihm entgegenzustellen, ihm den Weg zu verbauen. Seine Nemesis zu werden.«
Seine Worte belebten den schwankenden Hoffnungsstoß in Doyles Brust. So blieben sie noch eine Weile schweigend stehen und betrachteten den Fluß.
Bodger Nuggins
DIE NACHT wurde bitterkalt. Der Fußmarsch zurück zum Hotel gehörte zu den längsten Meilen in Doyles Erinnerung. Sparks zog sich zurück; er wirkte ausgehöhlt, leer. Gleichermaßen fühlte Doyle sich geschmeichelt, daß Sparks ihm genügend vertraute und mit dem Gewicht belastete, das er nun bis zu einem bestimmten Grad schultern mußte. Noch nie hatte die Jahreswende einen solch kläglichen Eindruck auf ihn gemacht. Sie kamen an Betrunkenen, Verliebten und Horden junger Feiernder vorbei, die den Tod des »Alten« und die Geburt des »Neuen« lärmend und johlend feierten, schnell die Farce ihrer Vorsätze für das neue Jahr vergaßen und ihre kleinen Laster in Tugenden umwandelten. Die willkürlichen Versuche der Menschen, die Zeit mit selbstauferlegten Nichtigkeiten dieser Art abzugrenzen, erschien ihm so unrentabel wie das Scharren von Hühnerkrallen im Dreck. Wie konnte man nur annehmen, der essentielle Charakter sei zu Veränderungen fähig, wenn Lebewesen wie Alexander Sparks auf den ersten Blick das Gegenteil bezeugten?
Sie betraten das Hotel durch einen verschwiegenen Hintereingang, begaben sich in ihre Räume, entfachten ein Feuer und öffneten eine Flasche Cognac. Doyle spürte, daß sein beschädigter Organismus vor dem Einflößen neuen Schnapses zurückscheute, doch dann wärmte er sein Herz und wurde zu einer willkommenen, schlaffördernden Linderung. Sparks starrte ins Feuer; die tanzenden Flammen reflektierten sich in seinen dunklen Augen.
»Wann haben Sie gemerkt, daß er wieder aktiv wurde?« fragte Doyle und beendete damit das lange Schweigen.
»Er hat England verlassen, eine gewisse Zeit in Paris verbracht und ist dann nach Süden gezogen. Er hat sich von Marseille aus nach Marokko eingeschifft und ist dann durch Nordafrika nach Ägypten gereist. Knapp ein Jahr nach den Morden war er in Kairo.«
»Er hat also Spuren hinterlassen.«
»Nachdem er die beiden Urverbrechen begangen hatte -Vatermord, Muttermord: Sind es nicht Urverbrechen, Doyle? Ich glaube, man kann sie in aller Fairneß so nennen -, war das letzte Hindernis auf seinem Weg hin zum grenzenlosen Genuß jeglicher Böswilligkeiten, zum zügellosen Impuls, unter dem er vielleicht noch gelitten hatte, für immer fort. Nachdem er die absolute Herrschaft über die Familie und die Schule - seine ursprüngliche Umgebung - errungen hatte, bestand seine Absicht nun darin, sich in der Welt zu etablieren. Sein erstes Ziel war, sich Kapital zu verschaffen, um finanziell unabhängig zu sein. In der Nacht, in der meine Eltern starben, hatte er vor dem Legen des Feuers die wertvollsten Stücke aus der ägyptologischen Sammlung meines Vaters gestohlen. Es war eine große Anzahl. Alexander reiste nach Kairo, um sie dort zu verkaufen. Das, was sie ihm einbrachten, wurde zum Grundstein seines bald beträchtlich anwachsenden Vermögens.«
»Und natürlich hat er weitere Verbrechen begangen«, vermutete Doyle.
»In diesem Jahr kam es in Kairo zu einer Reihe besonderer Morde. Mein Vater hatte eine Geliebte dort, eine Engländerin, eine Kollegin aus dem diplomatischen Dienst. Sie verschwand kurz nach Alexanders Ankunft. Eine Woche später fand man ihren Schädel auf dem Marktplatz. Da in den moslemischen Kulturen das Köpfen von Ehebrecherinnen üblich ist, hatte man natürlich einen Einheimischen in Verdacht. Aber man hatte in ihre Stirnhaut den roten Buchstaben A eingenäht. Der Name der Frau war übrigens Hester.«
Doyle spürte, daß es ihm wieder hochkam. Ihm wurde klar, daß er seine
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