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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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hinauf zu einem Dachboden. Dort oben richtete sie ihr Reich ein, thronte
zwischen Altertümern, als Herrin über Holzwürmer, Motten und Läuse und betrieb
einen Laden mit erstaunlich großem Warenangebot. Die Kinder des Dorfes strömten
herbei, tauschten, handelten, kauften...
    Gitti war die einzige von uns, die
Bescheid wußte. Sie durfte beim Verkauf helfen. Jede freie Minute verbrachten
die beiden dort oben im Holzstall. Sie schlüpften in die alten Gewänder,
stülpten Hüte auf ihre Häupter, wickelten sich in Schleier, sie müssen
ausgesehen haben wie aus ›Tausend und eine Nacht‹ entsprungen...«
    »Stark! Irre!! Super!«
    Bei der Erwähnung der Gewänder geriet
Henriette in solche Begeisterung, daß der Ausdruck »stark« nicht mehr reichte,
sie mußte noch »irre« und »super« hinzufügen, um einigermaßen klarzumachen, wie
überwältigt sie war.
    »Hast du den Laden gesehen, Tante
Amei?«
    »Nein, eben nicht! Ich sage dir,
Jettchen, die ganze Familie hatte keine Ahnung. Mutti setzte ihren Fuß nicht
mehr in den Holzstall, seitdem sie dort einer Maus begegnet war. Vaters
Gedanken schwebten hoch über Kinderspielen und Holzställen, und wir älteren
dankten Gott, wenn uns die beiden Kleinen in Ruhe ließen. Nur Else wußte
Bescheid, du kennst sie ja, Jettchen...«
    »Klar, sie wußte alles!«
    »Sie hat sich die beiden vorgenommen und
ihnen gedroht, sie werde es der Frau Pfarrer sagen. Aber Fränzchen konnte sie
um den Finger wickeln. Sie brauchte bloß ein paar Tränchen kullern zu lassen,
und schon war Else weich wie Butter an der Sonne. Ich hab’s nicht gehört, aber
ich kann mir denken, was sie zu Fränzchen gesagt hat.«
    »Geh ock los, weeßte!« rief Jette. »Und
dann: mei bosche kochanje!«
    »So etwa wird’s gewesen sein! Geh ock
los, weeßte! Was wer ick dir verpetzen! Aber, mei bosche kochanje, ick saje
dir, es wird niemals nich jut enden!
    Damit behielt sie recht.
    Eines schlimmen Tages gaben die
morschen Bretter oben im Holzstall nach. Sie vermochten die Schränke und
Vitrinen nicht länger zu tragen, also brachen sie, und unter dumpfem
Donnergrollen fuhren Fränzchen und Gitti mitsamt ihrem Reich in die Tiefe. Die
Familie stürzte in den Holzstall. Dort sah man lange nichts, denn eine dicke
Staubwolke lagerte über dem Ort des Schreckens. Dann kroch Gitti daraus hervor,
im schwarzen Gesichtchen die Augen angstvoll aufgerissen, doch war ihr außer ein
paar Schrammen nichts widerfahren. Fränzchen aber blieb verborgen. Wir fanden
sie schließlich unter den Trümmern eines Schrankes, betäubt vor Schmerz über
den Untergang ihres Lumpenkönigreiches.«
    »Irre!« sagte Henriette.
    Wir schlenderten hinter den anderen her
durch Goslar.
    »Erzähl weiter, Tante Amei.«
    »Es gab Ärger, Jettchen, das kann ich
dir versichern! Vater war entsetzt! Ach, entsetzt ist gar kein Ausdruck für
das, was er war!«
    Jette griff mir mit »geschockt« unter
die Arme.
    »Ja, also, er war geschockt, als er das
Ausmaß der Geschäftstüchtigkeit seiner Jüngsten auch nur zu ahnen begann. Seine
Tochter zog bettelnd durch das Dorf, hortete fremdes Eigentum, tauschte,
handelte. Er rang die Hände. Wie sollte er weiterhin Gottes Wort im Dorf
verkündigen, wenn sein eigenes Kind solche Übeltaten beging? Am Sonntag nach
dem schrecklichen Ereignis predigte er über Joh. 8, 1-11, ›Die große Sünderin‹.
Als er bei der Textverlesung an die Stelle kam: ›Gehe hin und sündige hinfort
nicht mehr‹, da blickte er kummervoll von der Kanzel hinunter auf sein
Töchterchen, welches in der Pfarrbank neben der Mutter saß und verstockt an
seinem Zopf nagte. Fränzchens Liebe zu ihrem Vater hatte einen empfindlichen
Dämpfer erlitten, mußte sie doch den Laden auflösen und alles Inventar, was
heil geblieben, wieder auf den Leiterwagen laden und zurückbringen zu den
rechtmäßigen Eigentümern. Keine noch so dicke Träne, kein Schniefen und kein
Toben hatte geholfen. Vater blieb hart, so schwer ihm das auch fiel. Sein Herz
verhärtete sich noch mehr, als er erkennen mußte, was alles sich in dieser
Schlangengrube im Holzstall angesammelt hatte.«
    »Armes Fränzchen!« rief Henriette
voller Mitgefühl. »Mit mir hätten sie das nicht machen dürfen! Mit mir nicht!
Gab’s da wirklich Schlangen, Tante Amei?«
    »Ach wo, keine Schlangen! Aber anderes
Viehzeug in Hülle und Fülle, und grad kein erfreuliches! Ratten zum Beispiel!
Flöhe und Läuse!«
    »Das gibt’s doch nicht!«
    »Doch, das gab es! Die Ratten wurden
von

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