Sieben auf einen Streich
Tante eine Königin in schwarzem Schleiergewand
auf dem Lumpenthron, Ratten zu Füßen und Läuse auf dem Haupt. Zärtlichkeit für
dieses bezaubernde Geschöpf erfüllte Jettens Herz.
Mathias aber zog es dem Harztiger zu,
dem Helden der Straße, dem Gebieter des Porsche. Am liebsten wäre er ihm zu
Füßen gesunken, jedoch versagte er sich dieses und ergriff nur die Hand seines
Idols, um sie mit Heftigkeit zu schütteln. Dergleichen tat er sonst nie, im
Gegenteil, er fand es verabscheuenswürdig, aber die Begeisterung hatte ihn aus
dem Gleichgewicht geworfen und die Vorfreude auf den Abend hatte ihn enthemmt.
»Wie Sie uns überholt hen, da in der
Kurve, mei lieber Scholli, des war Klasse! Wie ‘n Rennfahrer...«
»Heh, junger Mann!« Der Harztiger
versuchte seine Hand aus der Umklammerung zu befreien. »Was haben wir uns heute
morgen versprochen? Ich wollte mit dir eine Runde drehen und du...«
Mathias blieb vor Entsetzen der Mund
offenstehen, dann aber japste er los, besorgt um sein Mitfahrrecht, voller
Angst, das Glück dieses Tages könnte sich von ihm wenden.
»O Himmel! I hab’s vergesse! ‘s isch
net absichtlich passiert. Aber heut abend, gell, des klappt doch, mir fahret!
Ich bring’s in Ordnung!«
Und wie er es in Ordnung brachte,
lauter und dringlicher, als dem Harztiger lieb war!
»Zurück! Weg hier!« bellte er alle an,
die auch nur einen Schritt näher kamen. »Se wollet allei sei! I hab’s
versproche! Laßt se in Ruh!«
Der Harztiger seufzte. Wie klug er es
auch anfangen mochte, mit dieser Familie ging ihm einfach alles schief. Sie
haßten ihn, sie liebten ihn, und sie brachten ihn völlig durcheinander.
»Komm, Franziska«, sagte er matt, »wir
gehen schon mal essen!«
Aber Fränzchen steckte gleichfalls in
liebevoller Umklammerung. Henriette hatte sich ihrer bemächtigt und sie in eine
Fensternische abgedrängt.
»Was war denn alles in dem Laden drin?
Hast du noch was davon? Du, das ist irre, was du da gemacht hast...«
Fränzchen schob sie mit beiden Händen
von sich.
»Himmel, Jette, du erdrückst mich ja!
Wer hat dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?«
Henriette hörte das Wort »Floh« und
reagierte mit stürmischer Begeisterung.
»Ja, mit dem Floh, das find’ ich
brutal! Und wie du aus dem Fenster rausgerufen hast, ›ich hab’ Läus‹! Mann,
Fränzchen, du bist Superklasse!«
Und auch Henriette, so kühl sonst und
zugeknöpft, griff nach der Hand dieser verehrenswürdigen Tante.
»O Gott, sie ist verrückt geworden!«
Fränzchen schaute sich nach ihrem
Gefährten um, in dessen Augen gleichfalls Verzweiflung stand, denn Mathias, bestrebt
seinen Fehler wieder gutzumachen, tat eben wieder kund und zu wissen, und zwar
mit der Stimme eines jungen Löwen, daß man nur über seine Leiche zu diesen
beiden hingelangen könne, zu Fränzchen nämlich und ihrem Freund, dem
Rennfahrer.
»Nichts wie weg hier!« Der Harztiger
machte einen Satz zu Fränzchen hinüber, packte ihre Hand und versuchte, sie aus
all der Verwirrung von Liebe und Ärger und Peinlichkeit herauszuziehen.
Aber da hatte er nicht mit dem Wubbel
gerechnet. Wie der bemerken mußte, daß dieser böse Mann seine Tante Fränzchen
am Arm packte und sie zur Tür zog, da wurde all das Schreckliche und
Geheimnisvolle, was er am Morgen gehört, in seinem Köpfchen lebendig. Jetzt
endlich hatte er den Durchblick gewonnen, jetzt wußte er, warum sie alle so
geschimpft hatten und böse waren. Der Mann war kein Wonneproppen! Der war ein
Räuber!
Hah, Wubbel kannte sich aus mit den
Räubern! Hatte ihm die Mami nicht vom Räuber Hotzenplotz erzählt, wie er der
Großmutter die Kaffeekanne geraubt und sie in seine Höhle geschleppt? Man mußte
ihn festhalten, sonst verschwand er und Tante Fränzchen war weg, futsch! In
einer Höhle, im tiefen, tiefen Wald... An diesem Punkt seiner Überlegung
angelangt, erhob der Wubbel die Stimme: »Haltet ihn!« schrie er. »Ontel
Michajehl! Papi! Mami, Hilfe! Er raubt sie! Haltet ihn, haltet ihn!«
Aber da niemand zur Hilfe herbeieilte
und der Wubbel erkannte, daß er alles allein machen mußte und Eile not tat,
warf er sich todesmutig vom Arm seiner Mutter hinunter in die Tiefe, jaulte
kurz auf, weil er sich den Kopf angeschlagen, und kroch wieselschnell vorbei an
all den fremden Beinen, bis hin zu den wohlbekannten grauen. Er sah das Bein
des Räubers und nur eine einzige Möglichkeit, es festzuhalten. Also warf er
sich nach vorne, schnappte und biß herzhaft zu. Auch wenn er leider
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