Sieben auf einen Streich
war ja so
wütend, so ganz und gar verblendet, daß er sogar auf Vati losging. Wißt ihr es
nicht mehr?«
O doch, wir wußten es noch und
verhüllten schaudernd das Haupt im Gedenken an jenen furchtbaren Augenblick, da
Hannibal, unser Hausputer, den Schnabel nach Vaters schwarzen Hosen bleckte und
dabei in einer Weise kollerte und schimpfte, die uns erbleichen ließ. Niemals
hätten wir etwas dergleichen gewagt. Wir meinten sogar, die Erde müsse sich
auftun ob solcher Widersetzlichkeit und das böse Tier verschlingen. Statt
dessen trat Fränzchen vor, den großmächtigen Federhut über den Kopf gestülpt.
Als Hannibal diesen sah, zog er den Schnabel ein, sträubte die Halskrause vor
Entsetzen und raste dem rettenden Zwinger zu.
»Wißt ihr noch, was Vati damals gesagt
hat?« Fränzchens Augen leuchteten. »Ich werd’s nie vergessen. Er hat gesagt:
›Was für ein tapferes kleines Mädchen! Aber warum trägt es diesen schrecklichen
Hut. Habt ihr nichts Besseres für das Kind.‹«
Wir lachten, und über all dem waren
unsere Mienen milde geworden. Nur Gitti konnte sich schwer von dem Gedanken
trennen, daß ihr damals Unrecht widerfahren und daß die bösen Brüder sie
willentlich ins Verderben gelockt.
»Warum habt ihr mir hinterher nichts
gesagt? Warum habt ihr mich in dem Glauben gelassen...«
»Menschenskind, du hast unsere Mutprobe
verpatzt! Wir waren ganz schön sauer auf dich. Außerdem hatten wir mit Else
einen Haufen Ärger.«
Gitti seufzte: »Ich auch, das könnt ihr
mir glauben! Dieser widerliche Hannibal! Wißt ihr noch, wie wir ihn essen
sollten, damals an Weihnachten?«
»Ah bah!« sämtliche Geschwister
schüttelten sich beim Gedanken an den Weihnachtsbraten, der da auf festlich
geschmückter Tafel stand.
Hannibal, in tödlichem Schweigen und einem
Kranz grüner Petersilie, auf dem Rücken liegend, die knusprig braunen Schlegel
anklagend gen Himmel gereckt, statt mit Gift und Galle, mit Äpfeln und Rosinen
gefüllt — ein schrecklicher Anblick! Ein Festbraten, nach dem keiner von uns
Verlangen trug. Vater, beim Tranchieren, die Augen schaudernd auf die
Geflügelschere gerichtet, räusperte sich und hob an, der Familie den desolaten
Zustand seines Magens ans Herz zu legen. Er tat dies so lange, bis Mutti ihre
Hand beschwichtigend auf die seine legte und der Puter tranchiert war.
»Es ist ja recht, mein Lieber«, so
sprach sie, »dein Magen kann das fette Fleisch nicht vertragen. Wir wissen es.
Auch ich muß verzichten, so schmerzlich es mir ist, denn ich stehe am Rande
einer Gallenkolik.« Sie zauberte ein trauriges Lächeln auf ihre Lippen und
forderte dann die Tischrunde auf, sich nicht entmutigen zu lassen und freudig
zuzulangen.
Die Platte mit dem zerlegten
Satansbraten wurde in meine Arme gedrückt, und widerwillig schleppte ich sie
davon.
Else, die ich zuerst ansteuerte, denn
sie hatte schließlich Hannibal ins Haus gebracht, Else schob mich und die
Platte abweisend von sich, wischte sich eine einsame Träne aus ihrem Auge und
knurrte die sattsam bekannten Worte: »Geh ock los, weeßte!«
Stefan schließlich mit Ruhe und
Bedacht, sprach aus, was jedermann dachte: »Er war schon ein Böser und hat uns
gezwickt und im Hof rumgejagt, aber deswegen hätt’ man ihn nicht gleich
totmachen müssen.«
Doch hatte uns der lebende Hannibal
monatelang zu ärgern und zu quälen vermocht, dem toten gelang es nur wenige
Minuten, denn Hilfe nahte. Sie stand bereits vor der Tür, als ich den Braten um
den Tisch schleppte, anbot, abgewiesen wurde und ihn schließlich zornig auf das
Klavier knallte, indes mein Vater verzweifelt nach klugen Worten und
hilfreichen Taten suchte, um dieser schwierigen Situation Herr zu werden.
Es klingelte. Zwei Soldaten,
Spätheimkehrer, abgerissen, hungrig und verfroren, standen vor der Haustür. Sie
hofften auf weihnachtlich gestimmte Herzen, auf ein warmes Zimmer und ein gutes
Essen. Dies alles wurde ihnen im Übermaß zuteil. Wir empfingen sie mit
Herzlichkeit, geleiteten sie zu Tisch, stellten Hannibal in Reichweite und
ließen ihren Gabeln und Messern, Fingern und Zähnen freie Bahn, bis die
Schlacht geschlagen, der Hunger gestillt und Hannibal verschwunden war bis auf
die sauber abgenagten Knochen.
Unsere Retter blieben den ganzen Tag,
besuchten mit uns den Abendgottesdienst und verloren sich beim Schein der
Kerzen selbzweit in Beates Madonnengesicht. Sie hoben diese ihre menschliche
Verliebtheit jedoch auf eine höhere Ebene und beteuerten, sie könnten
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