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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Titel: Sieben auf einen Streich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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herunter, wühlte im
Täschchen und in der Schublade, aber sie fand rein gar nichts, was sie als
Zeichen ihrer Liebe hätte in das Medaillon legen können.
    »Eine Locke«, schlug die erfahrene
Tante vor, »eine Locke macht sich immer gut.«
    »Haare hat der Yogi genug!« Auch
verliebt blieb Jette ein vernünftiges Mädchen.
    »Dann ein Bild von dir. Ein Foto.«
    Woher sollte Jette ein Foto nehmen?
Schon das eigene Spiegelbild war ihr verhaßt. Nein, sie trug keine Eigenfotos
mit sich herum. Aber die Mutter! Ganze Stapel von Jettebildern befanden sich in
ihrer Handtasche. Bilder, vom Augenblick ihrer Geburt an. Zu Jettes tiefster
Beschämung zeigte Mutter Beate diese Bilder überall herum.
    Henriette hüpfte aus dem Bett und
stürmte barfuß und in Großvaters vergilbtem Nachtgewand hinüber in das
Schlafgemach ihrer Eltern. Der Wubbel fußelte eilig hinterher.
    Florian stand vor dem Spiegel und
rasierte sich. Er tat dies noch auf altertümlich schlichte Weise mittels
Seifenschaum und Rasiermesser. Mit diesem Messer fügte er sich eine beachtliche
Schramme zu, als seine Tochter ohne anzuklopfen ins Zimmer stürmte, die
Handtasche der Mutter ergriff, aufknipste und über dem Bett ausleerte.
    Beate, welche noch schlummernd im Bett
gelegen, fuhr hoch und warf sich über ihre Kostbarkeiten: das silberne
Puderdöschen, das teure Parfüm, Lippenstift und Spitzentüchlein. Was von all
diesem wollte die Tochter haben? Die aber grabschte nur nach der Ausweistasche,
zog einen Packen Bilder hervor, sagte: »Jetzt hab dich doch nicht so, du
kriegst sie ja wieder!« und trat den Rückzug an.
    Der Wubbel schlich gebückt hinterher,
denn er hatte einen beglückenden Fischzug getan, hatte unter den
heruntergerutschten Sachen ein Täfelchen Schokolade gefunden und ein
Hustenbonbon von der Sorte, die er besonders liebte. Zum Dank und weil er ihn
nicht mehr gebrauchen konnte, hinterließ er seinen ausgelaugten Kaugummi, den
er in Tante Beates Pantoffel spuckte, als freudige Überraschung beim Aufstehen.
    Jette sah ihren Vater vor dem Spiegel
stehen, weißen Schaum im Gesicht, ein rotes Rinnsal am Kinn.
    Wie gerne hatte sie früher zugeschaut,
wenn er sich einseifte, Grimassen schnitt und sich den Bart abschabte. Wie
hatte sie gejubelt, wenn er ein Flöckchen Schaum auf ihre Nase tupfte...
    Früher, in grauer Vorzeit, als sie noch
ein ganz, ganz kleines Mädchen gewesen... Henriette wandte sich ab, riß die Tür
auf und verschwand so schnell wie sie gekommen.
    Wieder im Jungfernzimmer angelangt,
kroch der Wubbel unverzüglich in Tante Fränzchens warmes Bett und zog die Decke
über sich. Hier, in sicherer Höhle, packte er die Schokoladentafel aus und
stapelte sorgsam Stück für Stück in seinen Backentaschen.
    Jette hatte die Fotos auf dem Boden
ausgebreitet, kniete davor und betrachtete sie mit Widerwillen. Keines schien geeignet,
den Yogi zu beglücken und auf seinem Busen zu ruhn.
    »Das hier!« Fränzchen tippte mit dem
großen Zeh auf ein Foto, welches Jette in frühem Stadium zeigte, mit
nachdenklichem Blick auf dem Töpfchen thronend.
    Schon krümmte Jette die Finger, um der
Tante kräftig ins Bein zu kneifen, da fügte diese hinzu: »Nur den Kopf! Nicht
den Topf!«
    Mit einer Nagelschere entfernte Jette
alles, was ihr genierlich schien, und siehe da, ins Medaillon gedrückt, wirkte
das Kinderköpfchen so engelgleich, so süß und rein, daß selbst dem
verstocktesten Betrachter eine Träne der Rührung ins Auge treten mußte.
    Auch Jette seufzte, packte dann
Kettchen und Medaillon in den Liebesbrief, versenkte das ganze in den Tiefen
des Riesenstiefels und scheuchte den Wubbel aus seiner Höhle.
    »Schnell, bring ihn zurück!«
    Der Wubbel, mit aufgeblähten
Hamsterbacken, schleifte das Monstrum wieder über den Gang, legte es vor Yogis
Bett nieder und nahm dafür die Gitarre mit. Der Lärm, den er draußen mit ihrer
Hilfe vollführte, weckte auch den letzten Schläfer.
    Der Harztiger, aus süßen Träumen
aufgeschreckt, erwachte schnell zu rauher Wirklichkeit, als er mit dem großen
Zeh in die Sicherheitsnadel fuhr. Schimpfend zog er den verletzten Fuß wieder
unter die Decke, angelte sich den Schuh und holte heraus, was da von liebender
Hand für ihn bereitet war.
    Der Yogi dagegen, abgehärtet und
hornhautbewehrt durch Trampen und Wandern, merkte nichts von der Freude, die in
seinem Stiefel schlummerte. Er fühlte nur eine leichte Unebenheit unter dem
Fußballen und meinte, sie könnte von seinem faltenschlagenden Socken

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