Sieben Erzaehlungen
„Er gehört uns“, sagte er. „Jedesmal zu Weihnachten kommt er und segnet unsere Felder.“
„Hör zu“, sagte der Geistliche. „Könntest Du mir nicht ein wenig von ihm geben? In der Stadt sind wir ohne ihn geblieben, sogar die Kirchen sind leer. Gib mir ein wenig ab, damit wenigstens der Erzbischof ein angemessenes Weihnachten verleben kann.“
„Aber nicht einmal im Traum, mein lieber Reverendo! Wer weiß, was für ekelhafte Sünden Ihr in Eurer Stadt begangen habt. Eure Schuld. Seht zu, wie Ihr fertig werdet.“
„Gewiß hat man gesündigt. Wer sündigt nicht? Aber Du kannst viele Seelen retten, mein Sohn, wenn Du ja sagst.“ „Ich habe gerade genug damit zu tun, die meine zu retten“, lachte der Bauer auf, und im gleichen Augenblick, in dem er dies sagte, erhob sich Gott von seinen Feldern und entschwand im Dunkel. Immer weiter noch ging er suchend. Gott schien sich immer rarer zu machen, und wer ein wenig von ihm besaß, wollte es nicht abtreten (aber sobald er nein sagte, verschwand gleichzeitig Gott, der sich immer weiter entfernte).
und nun war Don Valentino am Rande einer großen Heide angelangt, und im Hintergrund, gerade am Horizont, leuchtete Gott in sanftem Lichte, wie eine längliche Wolke. Der arme Geistliche warf sich auf die Knie nieder in den Schnee. „Warte auf mich, o Herr“, flehte er, „durch meine Schuld ist der Erzbischof allein geblieben, und heute Abend ist Weihnachten.“
Er hatte eiskalte Füße, machte sich im Nebel auf den Weg, versank bis zu die Knien, stürzte von Zeit zu Zeit langhingestreckt zu Boden. Wie lange noch würde er aushalten müssen?
Bis er einen feierlich getragenen Chorgesang hörte, Engels stimmen, ein Lichtstrahl drang durch den Nebel. Er öffnete eine kleine Holztür und befand sich in einer gewaltig großen Kirche, in deren Mitte beim Schein weniger kleiner Lichter ein Geistlicher betete. und die Kirche war voll des Paradieses.
„Bruder“, stöhnte Don Valentino, am Ende der Kräfte, vom Bart hingen ihm Eiszapfen herab, „hab Mitleid mit mir. Mein Erzbischof ist durch meine Schuld allein geblieben und hat Gott nötig. Gib mir ein wenig von ihm, ich bitte Dich.“
Langsam drehte sich der Betende um. Und Don Valentino, ihn erkennend, erblaßte noch mehr, wenn dies überhaupt möglich war.
„Frohe Weihnacht, Don Valentino!“ rief der Erzbischof ihm entgegentretend aus, ganz von Gott umgeben. „Verwünschter Junge, wo hast Du dich nur herumgetrieben? Darf man wissen, was Du bei diesem Hundewetter draußen zu suchen hattest?“
Nachwort
Dino Buzzati, italienischer Journalist und Schriftsteller, berichtete und kommentierte für seine Zeitungsleser die Ereignisse des 20. Jahrhunderts, fing die Realität in Ausschnitten ein, um sie in die Rationalität alltäglicher Meldungen zu überführen.
In seinen literarischen Texten, seinem bekanntesten Roman „Die Tatarenwüste“ und seinen zahlreichen Erzählungen, stieg er über die Realität der Tatsacheninformation hinaus in eine andere Wirklichkeit: die unserer Träume und Alpträume.
Die Verbindung von Journalismus und Schriftstellerei ist unter Buzzatis Zeitgenossen nichts Ungewöhnliches. Oft kommt der Literatur dann die Rolle zu, in epischer Breite den engen Rahmen der Zeitungsmeldungen weiterzuführen, die Fakten in ihr gesellschaftliches und psychologisches Umfeld einzubetten, wie es die Autoren des in der italienischen Erzählliteratur des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Neorealismus praktizierten. Wirklichkeitsbezug und Sozialkritik, getragen von einem meist marxistischen Engagement, war ihr Geschäft; sie entwarfen in ihren Texten ein kritisches und analytisches Panorama der modernen italienischen Gesellschaft.
Nicht so Dino Buzzati. Zwar beginnen die meisten seiner Erzählungen in einem chronikhaften Rahmen, in dem der Leser durch knappe und oft stereotype Attribute schnell seine eigene Zeit erkennt, um dann aber durch eine Überspitzung jenes wohlbekannten Inventars unserer modernen Welt, durch dessen Verdichtung und Verengung, in eine räumliche und zeitliche Entgrenzung getragen zu werden, die in Absurdität, im Nichts oder im Tod endet. Die Faszination, die von diesen Texten ausgeht, verdankt sich der Spannung zwischen realistischen und phantastischen Momenten und ebenso den poetischen Verfahrensweisen, mit denen eine reale Ausgangs-situation verfremdet wird. Nicht von Beginn an spielt die Handlung in einer anderen Wirklichkeit, sondern Irrealität wird erst zum Ereignis
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