Sieben Erzaehlungen
Kraft atmete. Wenn er nicht am nächsten Morgen, er hatte sich früh erhoben, einen uniformierten Boten gesehen hätte, der auf dem Fahrrad ankam, in das benachbarte Haus eintrat und ein Paket abgab, dann in das nächste Haus mit einem Paket ging und so alle Häuser besuchte, bis Gancillo ihn aus dem Auge verlor. Aber ihm brachte er nichts.
Als sich dies auch in den nächsten Tagen wiederholte, gab Gancillo, neugierig geworden, dem Boten einen Wink, zu ihm zu kommen, und fragte ihn: „Entschuldigen Sie, was eigentlich bringen Sie jeden Morgen meinen Kameraden, während Sie doch mir nie etwas bringen?“ „Es ist die Post“, antwortete der Bote, indem er respektvoll die Mütze abnahm, „und ich bin der Briefträger.“
„Was für eine Post? Wer schickt sie?“ Worauf der Briefträger lächelnd durch ein zeichen zu verstehen gab, es seien jene der anderen Seite, die vom Jenseits, die Leute da unten von der anderen Welt.
„Petitionen?“ fragte San Gancillo, der zu verstehen begann. „Ja, Petitionen, Bitten, Ersuche jeder Art“, sagte der Bote in gleichgültigem Tone, wie wenn es Lappalien seien, um nicht den neuen Heiligen zu beschämen.
„Und jeden Tag kommt so viel an?“
Der Briefträger hätte ihm sagen können, daß gerade jetzt eine tote Jahreszeit sei und daß in den besten Tagen zehn-, zwanzigmal mehr ankomme. Aber um Gancillo nicht zu betrüben, zog er sich mit einem „Nun ja, das ist verschieden, je nachdem“, aus der Affäre und fand bald einen Vorwand, sich zu entfernen.
Tatsache ist, daß nie jemand sich an San Gancillo wandte. Wie wenn er nicht existiere. Kein Brief oder nur ein Briefchen, nicht einmal eine Postkarte. Und er, der jeden Morgen alle jene an die Kollegen gerichteten Päckchen sah, nicht daß er neidisch geworden wäre, da er häßlicher Empfindungen unfähig war, immerhin aber fühlte er sich enttäuscht und hatte ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, nichts zu tun zu haben, während die anderen so viele Dinge zu erledigen hätten, kurz, er hatte das Gefühl, daß er das Brot der Heiligen unberechtigterweise äße. (Es war ein Spezialbrot, ein wenig besser als das der gewöhnlichen Seligen.)
Dieser Gram veranlaßte ihn, eines Tages sich neugierig einem der Nachbarhäuser zu nähern, von dem ein merkwürdiges Geticke ausging.
„Aber ich bitte dich, Lieber, tritt ein, dieser Sessel ist recht bequem. Entschuldige, wenn ich eine kleine Arbeit beende, dann bin ich sofort bei dir“, sagte ihm der Kollege herzlich. Er ging ins Nebenzimmer, wo er mit erstaunlicher Geschwindigkeit einem Stenographen ein Dutzend Briefe und verschiedene Dienstanweisungen diktierte, die der Sekretär eilig in die Schreibmaschine tippte. Dann kehrte er zu Gancillo zurück: „Ach, mein Lieber, ohne ein Minimum an organisation wäre es eine schlimme Sache, bei all der Post, die ankommt. Komm, ich zeige dir meine elektronische Kartei.“ Er war sehr freundlich.
Eine elektronische Kartei hatte Gancillo gewiß nicht nötig, der ziemlich kleinlaut nach Hause zurückkehrte. Und er dachte: „Sollte es möglich sein, daß niemand mich braucht? Wie gern würde ich mich nützlich machen. Wie wäre es, wenn ich zum Beispiel ein kleines Wunder täte, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken?“
Gesagt, getan, ihm kam in den Sinn, in seinem Bild, das in der Dorfkirche hing, die Augen zu bewegen. Vor dem Altar des San Gancillo befand sich zwar nie jemand, aber zufälligerweise ging gerade Memo Tancia, der Dorftrottel, vorbei. Der sah, wie das Bild die Augen rollte, und schrie bei diesem Wunder auf.
Gleichzeitig, mit der Blitzesschnelle, die ihnen auf Grund ihrer sozialen Stellung gewährt war, erschienen einige Heilige bei Gancillo und gaben ihm mit großer Gutmütigkeit zu verstehen, daß es besser sei, wenn er das Wunder abbreche: Nicht, daß etwas Böses dabei wäre, aber solche Typen von Wundern seien wegen einer gewissen ihnen innewohnenden Leichtfertigkeit an höchster Stelle nicht besonders geschätzt. Sie sagten dies ohne einen Schatten von Bosheit, aber es konnte sein, daß es sie doch etwas wurmte zu sehen, wie dieser Letztangekommene so ohne weiteres mit der größten Unbefangenheit Wunder tat, die sie hingegen eine verfluchte Mühe kosteten. San Gancillo verzichtete natürlich, und unten im Dorf untersuchten die Leute, die bei dem Schreien des Dorftrottels herbeigeeilt waren, lange das Bild, ohne etwas Besonderes zu entdecken. Sie gingen daher enttäuscht weg, und wenig fehlte daran, daß Memo
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