Sieben Erzaehlungen
Tancia eine Tracht Prügel bezogen hätte.
Nun nahm Gancillo sich vor, die Aufmerksamkeit der Menschen mit einem kleineren und poetischeren Wunder auf sich zu lenken. Und er ließ eine wunderschöne Rose aus seinem alten Grabstein aufbrechen, der bei der Seligsprechung repariert worden war, sich aber nun von neuem in einem zustand völliger Vernachlässigung befand. Aber es war bestimmt, daß es ihm nicht gelingen sollte, sich verständlich zu machen. Der Kaplan des Friedhofes bemerkte die Vernachlässigung und eilte gleich zum Totengräber, dem er es gründlich gab: „Wenigstens auf das Grab das San Gancillo könntest du wohl achtgeben, nicht wahr? Es ist eine Schande, Faulpelz, der du bist. Ich bin vorbeigegangen und habe gesehen, daß es völlig von Unkraut überwachsen ist.“ Und der Totengräber riß den kleinen Rosenstrauch aus.
Um ganz sicher zu gehen, wandte Gancillo sich nun dem traditionellsten der Wunder zu. Und dem ersten Blinden, der an seinem Altar vorüberging, schenkte er ohne weiteres das Augenlicht wieder.
Aber nicht einmal jetzt ging es ihm gut. Denn niemandem kam der Gedanke, daß das Wunder ein Werk Gancillos sei, vielmehr schrieben alle es San Marcolino zu, dessen Altar unmittelbar neben dem seinen stand. Und so groß war die Begeisterung, daß man die Statue des Marcolino, die ein paar Doppelzentner wog, auf die Schultern nahm und sie in einer Prozession bei Glockengeläut durch die Straßen des Ortes trug. Und der Altar des San Gancillo blieb mehr denn je vergessen und gemieden. An diesem Punkt sagte sich Gancillo: Es ist besser, ich gebe es auf. Man sieht, es ist so, meiner will sich niemand erinnern. Und er setzte sich auf den Balkon, schaute hinaus auf dem Ozean, und sein Herz wurde leichter.
Dort saß er in Betrachtung der Wellen, als er an die Tür klopfen hörte. Er ging und öffnete. Es war kein Geringerer als Marcolino in Person, der sich rechtfertigen wollte. Marcolino war ein prächtiger, hochgewachsener Mann, überschwenglich und voll von Fröhlichkeit: „Was soll man da tun, mein lieber Gancillo? Ich habe wirklich keine Schuld. Ich bin gekommen, weißt du, weil ich nicht möchte, daß du vielleicht dächtest ...“
„Aber wieso denn“, sagte Gancillo, sehr getröstet durch diesen Besuch, und auch er lachte.
„Siehst du?“ fuhr Marcolino fort, „viel ist mit mir nicht los, und doch bedrängen sie mich vom Morgen bis zum Abend. Du bist viel heiliger als ich, und doch vernachlässigen sie dich alle. Man muß Geduld haben, mein Bruder, mit dieser schäbigen Welt“, und er schlug ihn liebevoll auf den Rücken. - „Aber warum kommst du nicht herein? Gleich wird es dunkel sein und es beginnt kühl zu werden, wir könnten Feuer anzünden und du bleibst zum Abendbrot.“ - „Mit Vergnügen, mit dem größten Vergnügen“, entgegnete Marcolino.
Sie traten ein, hackten ein wenig Holz und machten Feuer, dies allerdings mit einiger Mühe, denn das Holz war noch feucht. Aber schließlich, nach fleißigem Blasen, erhob sich eine prächtige Flamme. Nun hängte Gancillo den Kochtopf über das Feuer, gefüllt mit Wasser für die Suppe, und in Erwartung, daß es koche, setzten sich beide auf die Bank, wärmten sich die Knie und plauderten herzlich miteinander. Aus dem Kamin begann eine dünne Fahne Rauch aufzusteigen, und auch dieser Rauch war Gott.
weihnachts GEScHIcHTE
Düster und spitzbögig der alte bischöfliche Palast, salpeterdurchtränkt die Mauern. Dort zu weilen ist in den Winternächten eine Strafe. Die anliegende Kathedrale ist ungeheuer groß, ein Leben genügt nicht, sie völlig kennenzulernen, und sie besteht aus einem solchen Knäuel von Kapellen und Sakristeien, daß selbst nach Jahrhunderten der Benutzung einige von ihnen fast unbemerkt geblieben sind. Was tut am Weihnachtsabend - so fragte man sich - der abgezehrte Erzbischof so ganz allein, während die Stadt das Fest begeht? Wie kann er sich der Melancholie erwehren? Alle haben einen Trost: Der Knabe hat den Zug und den Hampelmann, das Schwesterchen hat die Puppe, die Mutter hat die Kinder um sich, der Kranke eine neue Hoffnung, der alte Junggeselle die Gesellschaft des Freundes, der Gefangene die Stimme eines anderen aus der benachbarten zelle. Don Valentino, der pflichteifrige Sekretär des Erzbischofs, lächelte, wenn er die Leute so sprechen hörte. Der Erzbischof hat am Weihnachtsabend Gott. Kniend, mutterseelenallein inmitten der kalten, leeren Kirche, auf den ersten Blick könnte es einem leid tun,
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