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Sieben in einem Auto

Sieben in einem Auto

Titel: Sieben in einem Auto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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machen.“
    „Komischer Name!“ sagte Jan.
    „Also“, fuhr Frau Heger fort, „und während sie in der Käsestube mit Töpfen, Kesseln, heißem Wasser und so weiter hantierte, ließ sie ihren Jungen draußen herumlaufen. Da konnte ihm nichts passieren, die Bergweide war eben und fiel nur sanft ab, die Kühe grasten weit verstreut, und der Hund war gutmütig und tat dem Kleinen nichts. Eines Tages aber war der Junge unbemerkt in die Käsestube gekommen. Plötzlich stürzte er kopfüber in einen großen Kessel mit kochendem Wasser oder Käse. Frau Pfister hörte es spritzen, schnellte herum, sah, zu Tode erschrocken, was geschehen war, und fischte das bedauernswerte Kerlchen heraus. Mein guter Bub, schluchzte sie, mein Herzerle! Das Kind schrie laut vor Schmerz und klammerte sich an die Mutter. Die arme Frau riß ihm die wenigen Kleidungsstücke vom Leib, trocknete es ab und streute Mehl auf den kleinen Körper.“
    „Warum das denn?“ fragte Sascha.
    „Weil man damals glaubte, das sei ein gutes Heilmittel bei Verbrennungen. Heute weiß man es besser und läßt eiskaltes Wasser über die verbrannten Körperteile laufen. Aber bei dem kleinen Buben hätte auch kaltes Wasser nicht mehr geholfen, sein ganzer Körper war ja verbrüht. Er schrie so lange, bis er dazu keine Kraft mehr hatte und nur noch wimmern konnte.“
    „Warum ist Frau Pfister denn nicht schnell zum Arzt gegangen?“ fragte Christine.
    „Da oben auf den Almen gibt es keinen Arzt“, antwortete Frau Heger, „da ist man ganz allein und muß sich selbst helfen. Der Weg ins Tal zu einem Arzt dauert fünf Stunden oder noch mehr.“
    „Wo war denn Herr Pfister?“ fragte Conny.
    „Der arbeitete irgendwo in einem Steinbruch oder einer Fabrik, ich hab’s vergessen. Jedenfalls hatte sie niemanden, der ihr helfen oder raten konnte, und war mit dem sterbenden Kind ganz allein, mutterseelenallein, sagt man, und ich glaube, dieser Ausdruck gibt ihre schlimme Lage am treffendsten wieder.“
    „Ist das Kind gestorben?“ fragte Jan erschrocken.
    „Ja. Es wimmerte die ganze Nacht. Frau Pfister herzte und küßte es, weinte und betete immerzu, aber das Kind starb. Am Morgen wimmerte es nur noch ganz leise, und gegen neun Uhr hatte es ausgelitten.“
    „Tot?“ fragte Jan schniefend.
    „Ja.“ Frau Hegers Stimme zitterte, als sie weitersprach. „Stellt euch das einmal vor! Eine junge Mutter, fast noch ein Mädchen, erlebt das qualvolle Sterben ihres Kindes mit, an dem sie nicht ganz unschuldig ist, und muß dann mit der kleinen Leiche ins Tal wandern, fünf Stunden lang!“
    „War wohl kein Sessellift da, was?“ fragte Jan.
    „Nein. Sie mußte zu Fuß gehen, das tote Kindchen im Korb auf dem Rücken, damit es unten auf dem Friedhof sein Begräbnis bekommen konnte. Was muß das für ein schwerer Gang gewesen sein!“ Frau Heger schwieg. Alle im Auto waren ergriffen.
    Die Kinder begegneten der alten Frau Pfister nach der Erzählung ihrer Mutter befangen und mit stiller Bewunderung. Sie empfanden, daß man sich bei einem Menschen, der so Schlimmes durchgemacht hat, anders verhalten mußte. Weil aber jeder Tag ein Abenteuer war und immer neue Eindrücke brachte, verloren die Kinder nach und nach ihre Betroffenheit wieder.
    Conny jedoch berichtete ihrer Seelenfreundin darüber.
     
    Liebe Geraldine!
    Das Leben geht seltsame Wege und treibt mit manchem Menschen ein grausames Spiel. Zum Beispiel das folgende: Eine jungverheiratete Frau verliert, fernab dem Treiben der Welt auf einer Alm hausend, der Milchwirtschaft und Käsebereitung verpflichtet, ihr Kind, indem es in einen Brühbottich stürzt und sich lebensgefährlich verletzt. Sie, die mit anderen Arbeiten beschäftigt ist, sieht nicht, was hinter ihrem Rücken geschieht, und hört plötzlich das wilde Schreien des Hineingefallenen. Welchen Schmerz muß das Kind erleiden! (Brandwunden sind ja so scheußlich!) Welchen Schmerz aber muß auch sie, die junge Mutter, fühlen, da sie sich nun über ihr Liebstes beugt, es aus dem tosenden Wasser herausnimmt und mit Mehl bestäubt, um den unerträglichen Schmerz zu bannen! Und Schuld, Schuld nagt an ihrem Herzen! Warum hat sie nicht dauernd ihr Augenmerk auf das Kind gerichtet! Warum hat sie es nicht wahrgenommen, als es in die Käsestube schlich! Warum, warum? Diese Frage zerbricht ihr das Herz, schnürt ihre Kehle zu, zerdrückt ihre Seele. Am Sterbelager ihres kleinen Lieblings kniend, im verzweifelten Gebet die Hände ringend, wird sie Zeuge, wie das

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