Sieben Jahre Sehnsucht
angesichts von Michaels Bedenken gegen die Reise auch zu erwarten gewesen war: Wenn er sie schon nicht davon abhalten könnte, so sollte sie wenigstens so komfortabel und sicher wie möglich reisen. Die ängstliche Fürsorge, die er der Witwe seines Bruders angedeihen ließ, half ihm wahrscheinlich über seinen eigenen Schmerz hinweg, doch Jessica hatte sich dadurch zunehmend eingeengt gefühlt, was einer der Gründe war, weshalb sie sich zu der Reise entschlossen hatte.
Salzige Meerluft wehte herein und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das geschäftige Treiben im Hafen. Vor Aufregung oder vielleicht auch vor Vorfreude begann ihr Herz wie wild zu schlagen. Die feine Gesellschaft auf der karibischen Tropeninsel hatte weniger vorgefertigte Meinungen über sie, und der Umgang war lockerer. Nach Michaels gut gemeinter, aber einengender Fürsorge freute sich Jessica auf das Alleinsein.
In rascher Folge trugen Jessicas Lakaien ihr Gepäck über den Landungssteg zum Hauptdeck. Zwischen der schlichten Kleidung der Seemänner stach das leuchtende Blau der Pennington-Livree lebhaft hervor. Bald würde Jessica keinen Grund mehr haben, noch länger in der Kutsche zu bleiben.
Mit Hilfe eines Bediensteten stieg sie aus, strich ihren lavendelblauen Seidenrock glatt und machte sich, ohne sich noch einmal umzuschauen, auf den Weg zur Acheron . Als sie auf dem Deck anlangte, spürte sie unter ihren Füßen das Rollen des Schiffes und blieb einen Moment stehen, um das Gefühl von Freiheit und Abenteuer auszukosten.
»Lady Tarley.«
Sie drehte sich um und sah einen korpulenten, vornehmen Gentleman, der auf sie zukam. Uniform und Auftreten verrieten, dass es sich bei ihm um den Kapitän handelte.
»Captain Smith«, stellte er sich vor und ergriff mit einer Verbeugung ihre dargebotene Hand. »Ich freue mich, Sie an Bord begrüßen zu dürfen, Mylady.«
»Die Freude liegt ganz bei mir.« Sie erwiderte sein Lächeln, das aus den Tiefen seines struppigen weißen Barts aufblitzte. »Sie haben das Kommando über ein sehr beeindruckendes Schiff, Captain.«
»Aye, ein stolzes Schiff.« Er schob die Hutkrempe nach oben, um Jessica besser in Augenschein nehmen zu können. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir bei den Abendmahlzeiten Gesellschaft leisten würden.«
»Sehr gerne, vielen Dank.«
»Ausgezeichnet.« Smith gab einem jungen Matrosen ein Zeichen. »Miller wird Ihnen Ihre Kabine zeigen. Sollten Sie irgendwelche Fragen oder Beanstandungen haben, wird er sich darum kümmern.«
»Vielen Dank.« Nachdem der Kapitän sich mit dem Hinweis entschuldigt hatte, er müsse Vorbereitungen für die Abfahrt treffen, wandte sich Jessica Miller zu, der, wie sie schätzte, nicht älter als siebzehn war.
»Mylady.« Er deutete auf einen offenen, nach unten führenden Gang. »Hier entlang.«
Sie folgte ihm durch die Mitte des Schiffs, fasziniert vom Mut der Männer, die die Takelage wie geschäftige kleine Krabben erklommen. Als sie die Treppen hinunterstieg, stockte ihr der Atem beim Anblick des prachtvollen Inneren der Acheron .
Die getäfelten Durchgänge und Niedergänge waren glänzend poliert wie auch die Messingteile, die zur Sicherung der Türen und als Halterung der Lampen dienten. Jessica wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch diese Aufmerksamkeit für Details war überraschend und erfreulich. Vor einer Tür blieb Miller stehen und klopfte an, worauf das »Herein!« von Jessicas Zofe Beth ertönte.
Die Kabine war klein, aber mit dem schmalen Bett, dem kleinen rechteckigen Fenster und dem Holztisch mit den zwei Stühlen ausreichend ausgestattet. Neben einem ihrer Koffer stand eine Kiste mit ihrem Lieblingsrotwein, einem Bordeaux. Es war der kleinste Raum, den Jessica je als Schlafgemach benutzt hatte, doch sie fühlte sich darin sicher und geborgen. Und sie war unendlich dankbar dafür, sich wenigstens für ein paar Wochen lang nicht nach den Vorstellungen und Wünschen anderer Menschen richten zu müssen.
Sie zog die Nadel aus ihrem Hut und reichte beides an Beth weiter.
Miller versprach, Jessica um sechs Uhr abends zum Dinner abzuholen, und zog sich mit einer Verbeugung zurück. Jess wandte sich Beth zu.
Die Zofe biss sich auf die Unterlippe und wirbelte dann ausgelassen im Kreis herum. »Das ist ein großes Abenteuer, Mylady. Ich habe Jamaika seit unserer Abreise sehr vermisst.«
Eine jähe Wehmut überfiel Jess, aber sie erwiderte lächelnd: »Und einen gewissen jungen Mann.«
»Ja«, stimmte die Zofe zu, »den
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