Sieben Jahre Sehnsucht
gefallen. Er ist auch gern in Gesellschaft vieler Menschen.«
»Hester wird von allen gemocht.« Ein Windstoß blies eine dicke goldblonde Locke über ihre Wange, und sie strich sie zurück. »Es ist unmöglich, sie nicht zu mögen.«
»Wenn Michael im selben Raum wie Hester war, hatte er nur Augen für sie.«
»Sie ist in jeder Gesellschaft ein strahlender Stern.«
Er vernahm die Sehnsucht in ihrer Stimme. »Sie fehlt dir.«
»Ja, in vielerlei Beziehung. Im vergangenen Jahr hat sie sich sehr verändert. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, ob diese Veränderung allmählich oder plötzlich stattgefunden hat. Nachdem Tarley krank geworden war, hatte ich kaum noch Zeit für irgendwelche Besuche.«
»Inwiefern verändert?«
Ratlos zuckte sie die Achseln. »Ich fürchte, sie ist krank. Sie ist sehr dünn geworden und erschreckend blass. Manchmal liegt ein gequälter Zug um ihre Augen und ihren Mund, als habe sie Schmerzen. Doch wenn ich sie anflehte, einen Arzt zu konsultieren, behauptete sie jedes Mal, ihr würde nichts fehlen.«
»Wenn etwas sein sollte, wird sich Michael in deiner Abwesenheit gewiss darum kümmern. Du kannst ganz beruhigt sein.«
»Bei allem, was er derzeit um die Ohren hat, hat er kaum Zeit für sich selbst. Er ist ein sehr liebenswürdiger Mann. Es würde ihm guttun, wenn er eine Gattin hätte, die ihm etwas von seiner Last abnimmt.«
»Deine Schwester vermag es nach wie vor, ihn ganz in ihren Bann zu ziehen, was, wie ich glaube, der Grund ist, weshalb er noch nicht geheiratet hat.«
Ihre Augen weiteten sich. »Willst du damit sagen, Michael habe eine Schwäche für Hester?«
»Seit vielen Jahren«, erwiderte er trocken. Er wusste nur allzu gut, wie peinigend so eine Besessenheit sein konnte.
»Nein«, keuchte sie fassungslos, »das glaube ich nicht. Er hat Hester gegenüber niemals mehr als freundschaftliche Gefühle bekundet.«
»Und du hast immer ganz genau aufgepasst, um dir dessen sicher zu sein?«
Eine Weile starrte sie ihn verdutzt an, ehe sie dann etwas verlegen lächelte. »Ich hatte keine Ahnung.«
»Und Lady Regmont genauso wenig, was der Kern seines Problems war.«
»Sie erwähnte ihn einmal, als sie bestimmte Eigenschaften aufzählte, die ihr zukünftiger Gatte aufweisen sollte.«
»Ach? Welche Eigenschaften waren das? Vielleicht gibt es ihm ein wenig Trost, wenn er erfährt, dass sie ihn in mancher Hinsicht anziehend findet. Andererseits würde es ihn vielleicht noch mehr quälen, da nichts mehr zu ändern ist.«
»Sie hat, glaube ich, seine umgängliche Art hervorgehoben.« Jessicas Augen funkelten. »Was das Äußere betrifft, so warst du ihr absoluter Favorit.«
»Wie schmeichelhaft. Warst du derselben Meinung?«
»Ich habe gelogen.«
Fragend hob er die Brauen.
»Nicht direkt gelogen«, berichtigte sie sich. »Ich sagte, du seist zu jung für mich, um als Mann infrage zu kommen.«
Alistair schlug die Hand aufs Herz. »Ho! Die holde Lady kränkt mich zutiefst.«
»Unsinn«, schnaubte sie.
»Jugend hat ihre Vorteile. Vitalität, Ausdauer –«
»Unbesonnenheit.«
»Was herrlich sein kann«, entgegnete er. »Indem du deine Lüge gestanden hast, hast du indirekt zugegeben, dass du mich damals anziehend fandest. Warum hast du das deiner Schwester nicht offen gesagt?« Behielt sie denn alles Private für sich?
»Ich konnte sie in ihrer Schwärmerei für dich unmöglich ermutigen! Ihr beide passt überhaupt nicht zusammen. Sie würde in deinem Schatten stehen.«
»Ich wäre für ihre Reize gar nicht empfänglich gewesen. Und es wäre auch sehr unklug, der einen Schwester den Hof zu machen, während man sich insgeheim nach der anderen Schwester verzehrt.«
Jessica errötete. »Du hast dich niemals nach etwas verzehrt. Das entspricht nicht deinem Naturell. Außerdem hast du, wie Mr. Sinclair, niemals erkennen lassen, dass du mich überhaupt wahrnimmst.«
»Dasselbe ließe sich auch von dir in Bezug auf mich sagen. Demnach haben wir einander sehr wohl wahrgenommen, doch du warst Tarley versprochen, und ich war in der Tat zu jung. Ich hatte keine Ahnung, was ich jenseits hemmungsloser erotischer Freuden mit dir anfangen sollte, wusste freilich nicht, wie ich in den Genuss dieser Freuden kommen sollte. Du bist ein so vollkommenes Geschöpf. Die Vorstellung, dich in geiler Begierde zu bespringen, erschien anrüchig und unmöglich.«
Mit Wohlwollen konstatierte er, dass sie über seine unverblümte Offenheit nicht so entsetzt war, wie sie es
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