Sieben Jahre Sehnsucht
Einkaufsbummel wie heute viel mehr Spaß gemacht. Jessica verstand es, Frauen wie Lady Bencott Kontra zu geben, indem sie ihren Tadel mit Formulierungen zum Ausdruck brachte, die höflich, aber dennoch treffsicher waren. Hester beneidete ihre wortgewandte Schwester um diese Schlagfertigkeit. Sie selbst verfügte nicht über diese Stärke, war eher ein versöhnlicher Mensch, der Streit sofort schlichtete und Konflikten aus dem Weg ging, ganz gleich, welchen Preis es sie kostete.
Hester griff nach besagtem Hut, der so hübsch auf einem Ständer saß, hielt allerdings inne, als ihr Blick auf einen Mann fiel, der draußen vorbeiging. In der Bond Street wimmelte es wie üblich von Fußgängern, und doch erregte diese eine Gestalt ihre Aufmerksamkeit.
Der Mann war groß und elegant, mit den muskulösen Schenkeln eines Reiters und Schultern, die keine Polster benötigten. Sein dunkelgrüner Gehrock und die hirschledernen Breeches waren schlicht, aber unübersehbar teuer. Er bewegte sich auf eine selbstbewusste Art, die andere Passanten instinktiv dazu veranlasste, ihm auszuweichen. Die Frauen beobachteten ihn mit weiblichem Interesse; die Männer gingen ihm aus dem Weg.
Als fühlte er, dass Hester ihn eingehend musterte, drehte der Mann sich zu ihr um. Unter seiner Hutkrempe erspähte sie ein kräftiges Kinn, das sie überall erkennen würde.
Michael. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, ein Gefühl, das sie nicht mehr erlebt hatte, seit Regmont sie das erste Mal geschlagen hatte. An diesem Tag war etwas in ihr erloschen, doch nun regte es sich wieder, erwachte erneut.
Großer Gott. Wann hatte er sich zu einem so formidablen Mann entwickelt?
Wann war ihr Freund aus Kindertagen zum Mann geworden? Als er Lord Tarley wurde? Oder bereits vorher? Sie sah ihn so selten, dass sie nicht sagen konnte, wann diese eindrucksvolle Veränderung stattgefunden hatte.
Er blieb stehen, eine einsame, reglose Gestalt inmitten des Gewimmels. Seine Haltung war von lässiger Eleganz. Er schien sich mit seiner Größe wohlzufühlen, im Gegensatz zu ihrem Gatten, der einige Inches kleiner war.
Hester ließ die Hand sinken. Ehe ihr bewusst wurde, was sie da machte, stand sie auch schon draußen und wartete auf Michael, der sich mit charmanter Ungeduld durch das Gedränge auf sie zubewegte.
»Guten Tag, Lord Tarley«, sagte sie, als er vor ihr stand. Sie wunderte sich, dass ihre Stimme so klar und fest war, obwohl sie sich benommen und zittrig fühlte.
Er nahm den Hut ab, enthüllte dunkelbraune Locken. Mit einer Verbeugung begrüßte er sie. »Lady Regmont, ich bin überglücklich, dass sich unsere Wege so unerwartet kreuzen.«
Sie freute sich geradezu lachhaft über die höfliche Floskel. »Dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit.«
Michael blickte an Hester vorbei zu dem Hutladen. »Ein Nachmittag mit Freundinnen?«
»Ja.« Es drängte sie, über das Thema zu sprechen, das ihr auf den Nägeln brannte, aber dafür war nicht der richtige Zeitpunkt. »Ich muss Sie sobald wie möglich sehen. Es gibt etwas, das ich mit Ihnen besprechen möchte.«
Er spannte sich an. »Worum geht es? Ist etwas passiert?«
»Ich habe von Ihrer Wette mit Regmont gehört.«
Er hob die Brauen. »Ich werde ihn nicht verletzen. Nicht zu sehr jedenfalls.«
»Meine Sorge gilt nicht Regmont.« Michael hatte keine Vorstellung, welches schlafende Ungeheuer er womöglich weckte.
Seine Mundwinkel zuckten, dann verlor er den Kampf und begann breit zu grinsen. Der Anblick raubte ihr förmlich den Atem, machte ihr bewusst, wie selten er in ihrer Gegenwart lächelte. Seine Zurückhaltung war immer spürbar gewesen. Anders als die meisten anderen Männer hatte er sich nie von ihrem Charme verlocken lassen.
»Ich kann mich nicht entscheiden«, sagte er, »ob ich mich geschmeichelt fühlen soll, weil Sie sich um mich sorgen, oder gekränkt sein soll, weil Sie so wenig Vertrauen in meine Kampfkunst haben.«
»Die Vorstellung, dass Sie verletzt werden könnten, ist mir unerträglich.«
»Dann werde ich mich schon allein um Ihretwillen um eine gute Abwehr bemühen. Doch der Fairness halber muss ich dazusagen, dass eine gelungene Abwehr meinerseits durchaus in einer Verletzung Ihres Gatten enden könnte.«
Hatte er sie immer mit so viel Wärme in den dunklen Augen angesehen? »Regmont ist körperlich weiß Gott imstande, sich zu verteidigen«, sagte sie abfällig.
Als Michael, irritiert über ihren Ton, die Stirn runzelte, wurde ihr klar, dass sie womöglich mehr
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