Sieben Jahre später
weißen Sandes, der Hitze und Licht reflektierte. Jetzt, um die Mittagszeit, war es hier total überfüllt. Der Ozean funkelte, und die irisierenden Wellen brachen sich mit unglaublicher Wucht am Ufer. Nikki und Sebastian verließen den Privatstrand ihres Hotels und machten sich auf den Weg zu der Bar, in der Flavia arbeitete.
Etwa alle siebenhundert Meter gab es einen hohen Posto , einen Bademeisterturm, von dem aus das Wasser überwacht wurde und an dem sich die Badegäste verabredeten. Der mit einer Fahne in Regenbogenfarben ausgestattete Posto 8 war offenbar der Treffpunkt der Homosexuellen. Nikki und Sebastian ließen ihn hinter sich. Vom Meer her spürten sie die Gischt, in der Ferne erkannten sie die Cagarrasinseln und die »zwei Brüder«, jene beiden Berge, die sie auf Simons Foto gesehen hatten.
Sie liefen weiter über den Sand, zwischen Fuß- und Volleyballspielern hindurch. Hier war der Strand besonders belebt, und man hätte sich auf einem Laufsteg für Dessous und Bademode wähnen können. Ipanema strotzte vor Sinnlichkeit, und in der Luft lag eine erotische Spannung. Anmutige, schlanke Frauen zeigten ihre operierten Brüste und stolzierten unter den Blicken der eingeölten, muskulösen Surfer in ihren Minibikinis herum.
Nikki und Sebastian erreichten den Posto 9 , offensichtlich der vornehmste Teil des Strandes und Treffpunkt der Jeunesse dorée von Rio.
»Also«, fasste Nikki zusammen, »wir suchen nach einer hübschen Blondine, die halb nackt herumläuft, Flavia heißt und Drinks in einer Kneipe namens …«
» Cachaça serviert«, ergänzte Sebastian und deutete auf eine luxuriöse Bar.
Sie gingen zum Getränkeausschank. Das Cachaça war eine Beachbar, in der sich reiche sonnenbebrillte Gäste in Markenpareos Mojitos zu sechzig Reais leisteten und Bossa-nova-Remix hörten. Sie musterten die Bedienungen, alle entsprachen demselben Profil: um die zwanzig Jahre alt, Modelfigur, knappe Shorts, aufreizende Dekolletés.
»Hallo, mein Name ist Betina. Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie eine von ihnen.
»Wir suchen eine junge Frau namens Flavia«, erklärte Nikki
»Flavia? Ja, sie arbeitet hier, aber heute ist sie nicht da.«
»Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Nein, aber ich kann es herausfinden.«
Sie rief eine ihrer Kolleginnen – ebenfalls eine Barbiepuppe.
»Das ist Cristina, sie wohnt im selben Viertel wie Flavia.«
Die junge Brasilianerin begrüßte sie. Trotz ihrer Schönheit hatte sie etwas Trauriges und Zerbrechliches.
»Flavia ist seit drei Tagen nicht mehr zur Arbeit erschienen«, erklärte sie.
»Wissen Sie, warum?«
»Nein, normalerweise gehen wir zusammen, wenn wir zur gleichen Zeit Dienst haben. Aber im Moment ist sie nicht zu Hause.«
»Wo wohnt sie?«
Mit einer unbestimmten Handbewegung deutete sie auf die Hügel. »Bei ihren Eltern in Rocinha .«
»Haben Sie versucht, sie anzurufen?«
»Ja, aber ich habe nur die Mailbox erreicht.«
Nikki zog Jeremys Foto aus ihrer Brieftasche. »Haben Sie diesen Jungen schon einmal gesehen?«
Cristina schüttelte den Kopf. »Nein, aber wissen Sie, bei Flavia wechseln die Männer häufig …«
»Können Sie uns ihre Adresse geben? Wir möchten ihren Eltern ein paar Fragen stellen.«
Die junge Brasilianerin verzog das Gesicht. » Rocinha ist kein Ort für Touristen! Da können Sie allein nicht hingehen.«
Sebastian drängte sie, doch sie schüttelte den Kopf.
»Könnten Sie uns nicht vielleicht hinführen?«, fragte Nikki.
Dieser Vorschlag behagte dem Mädchen gar nicht. »Das ist unmöglich, ich habe meine Schicht gerade erst angefangen.«
»Bitte, Cristina! Wir zahlen Ihnen den Verdienstausfall. Wenn Flavia Ihre Freundin ist, müssen Sie ihr helfen.«
Das Argument zeigte Wirkung. Offenbar bekam Cristina ein schlechtes Gewissen.
»Also gut, warten Sie.«
Sie sprach mit einem Mann, anscheinend ihrem Chef: ein junger Typ im hautengen T-Shirt, der mit Gästen, die doppelt so alt waren wie er, Caipirinhas trank.
»Okay«, meinte sie, als sie zurückkam. »Haben Sie ein Auto?«
Kapitel 57
Der schwere Landrover fuhr mit Leichtigkeit die Serpentinenstraße hoch, die zur Favela führte. Sebastian saß am Steuer und folgte Cristinas Anweisungen. Die junge Carioca, die auf der Rückbank saß, hatte sie vom Strand durch ein Viertel mit Luxusresidenzen im Süden und dann auf die Estrada da Gávea gelotst, eine Straße, die sich den Hügel hinaufwand und die einzige Zufahrt zu Rios größter Favela war.
Wie die meisten dieser Viertel
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