Sieben Jahre
Ansammlung von Betonkreuzen aufgetaucht. Als wir näher kamen, sahen wir, dass sie nicht zu einem Soldatenfriedhof gehörten, sondern Stützen waren und früher irgendetwas getragen haben mussten, ein Dach oder Geschütztürme. Trotzdem verliehen die Kreuze dem Ort etwas Morbides. Virilio nennt die Bunker Tempel ohne Religion, sagte Sonja.
Auf dem Weg den Berg hinunter fragte sie, ob ich gläubig sei. Sie war mit meiner Antwort nicht zufrieden, meine Ansichten waren ihr zu diffus und zu wenig ernsthaft. Dazu müsse man doch eine Meinung haben. Sie glaube an den Menschen und an die Menschlichkeit und an den Fortschritt. Du bist ein Kind der Moderne, sagte ich, und Sonja lachte und sagte, sie verstehe das als Kompliment. Mir fiel ein Zitat von Le Corbusier ein, das ich in einem Schaukasten der Cité Radieuse gelesen hatte:
Alles ist anders. Alles ist neu. Alles ist schön.
Und einen Moment lang dachte ich, ich könnte daran glauben.
Der kleine Badestrand am Fuß des Berges war uns zu voll, aber nicht weit davon fanden wir eine Bucht, in der nicht viele Menschen waren. Der Fels war scharfkantig, und wir mussten eine Weile suchen, bis wir eine ebene Stelle fanden, an der wir unsere Badetücher ausbreiten konnten. Es war windstill hier, und in der Luft lag ein leichter Modergeruch. Vielleicht fünfzig Meter vor dem Ufer ankerten zwei Jachten, an Bord war niemand zu sehen. Ich zog meine Badehose an, Sonja setzte sich hin, ohne sich auszuziehen. Kommst du nicht mit ins Wasser?, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. Sie sagte, sie bade lieber in Schwimmbädern, sie fürchte sich vor Quallen und Seeigeln und all den anderen Tieren im Meer.
Ich musste über die Felsen klettern, um ins Wasser zu gelangen. Es schien mir erstaunlich kühl für die Jahreszeit. Ich schwamm ein paar Meter hinaus. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Sonja die Umschläge mit den Fotos aus ihrer Tasche zog. Ich schwamm bis zu den Jachten und einmal um sie herum und zurück. Sonja saß da wie vorher und schaute hinaus auf das Meer. Als ich mich neben sie auf das Badetuch fallen ließ, nahm sie die Fotografien, die in ihrem Schoß gelegen hatten, und reichte sie mir ohne ein Wort. Ich trocknete meine Hände ab und blätterte sie durch, Bilder von der Cité Radieuse, von anderen Gebäuden und Plätzen der Innenstadt. Dann kamen die Fotos, die ich von Sonja gemacht hatte, während sie schlief. Sie waren weniger gut, als ich gedacht hatte, aber Sonja sah sehr schön aus darauf, fast wie eine Skulptur. Ich drehte mich zu ihr um. Sie hatte sich hingelegt und die Augen geschlossen, es sah aus, als wolle sie die Bilder nachstellen, aber ihre Haltung hatte etwas Verkrampftes. Sie hatte die Beine angezogen und die Knie zusammengepresst und wirkte sehr jung. Ich glaube, sie wartete darauf, dass ich sie küsse, jedenfalls schien es sie nicht zu überraschen, als ich es tat. Sie legte ihre Arme um meinen Hals und zog mich an sich.
Den Weg zurück zum Hafen gingen wir Hand in Hand und ohne ein Wort zu reden. Manchmal hielt ich an und drehte Sonja zu mir und küsste sie. Ich war in einer feierlichen und zugleich leichten Stimmung. Ich hatte viel über Sonja nachgedacht und sie wohl auch über mich. Wir hatten uns nicht aus einer Laune heraus geküsst, mir war vom ersten Moment an klar, dass der Kuss eine Entscheidung gewesen war, die wir zusammen getroffen hatten. Auf dem Schiff zurück fragte mich Sonja nach meinen Plänen und wollte wissen, ob ich ein Auslandspraktikum machen und ob ich später ein eigenes Büro gründen wolle und eine Familie. Wir redeten in leichtem Ton, aber unter allem lag eine Ernsthaftigkeit, mit der man nur in diesem Alter über das Leben spricht. Ich empfand nicht so sehr Liebe als Glück und Zuversicht und vielleicht auch Stolz.
Vor der Wohnungstür küsste Sonja mich noch einmal, ein kurzer, abschließender Kuss, wie um mir klarzumachen, dass sie unser Verhältnis vor Antje verbergen wollte. Aber im Lauf des Abends gaben wir die Geheimnistuerei auf. Wir hatten wieder auf dem Balkon zu Abend gegessen und waren sitzen geblieben und redeten über Architektur und über Marseille. Sonja sagte, sie sei nicht nur wegen Le Corbusier hierher gekommen. Sie habe vor, sich einen Praktikumsplatz zu suchen. Sie hatte sich ein paar Adressen von interessanten Büros herausgeschrieben, bei denen sie vorbeigehen wollte. Wenn du nichts dagegen hast, sagte sie und nahm meine Hand. Antje hob die Augenbrauen und lächelte süffisant. Na, wenigstens habe
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